Rainer Kolbe Das Kind

 

254 Zu Hilfe!

Die Küche ist Dreh- und Angelpunkt des Familienlebens. Hier wird morgens der Kaffee aufgebrüht, hier werden die Schulbrote bereitet, hier wird gemeinsam gefrühstückt. In der Küche treffen wir uns zur Mittagsstunde und tauschen uns über die jeweiligen Vormittagsabenteuer aus und vertilgen stapelweise belegte Brote. Nachmittags scharwenzeln die Kinder immer mal wieder an der Küchentür vorbei in der Hoffnung, unbemerkt an die große Keksdose in der Speisekammer zu gelangen. Wenig später tappt der Hund bemüht unauffällig in die Küche, um unbemerkt an den Futtersack in der Speisekammer zu gelangen. Abends werden den hungrigen Mäulern Vorspeisen gereicht, es wird gekocht und getafelt, und wir tauschen uns über die jeweiligen Nachmittagsabenteuer aus.

Irgendwo haben wir, glaube ich, auch ein Wohnzimmer, aber das spielt im Familienleben nur eine sehr untergeordnete Rolle. Die gute Stube, sozusagen. Immerhin sind die Möbel nicht mit alten Bettlaken abgedeckt.

Damit aber die Küche ihre Funktion als Dreh- und Angelpunkt des Familienlebens erfüllen kann, ist es notwendig, zwischen den Hauptandrangszeiten ein wenig aufzuräumen und zu wischen, den Tisch zu decken und wieder abzudecken, die Spülmaschine zu leeren und zu befüllen und alle Töpfe wieder sauber kratzen. Kurz: Wer hilft?

Das Mittagsmahl ist beendet. Ich zähle laut „eins!“, da springen alle auf, bei „zwei!“ rennen alle zur Tür, und bei „drei!“ sind alle weg. Denn wer bei „drei!“ noch in der Küche ist muss helfen den Tisch abzudecken und die Küche aufzuräumen.

Das ist natürlich ein Spiel, und Verschwinden ist nicht Luxus noch Faulheit: Das kleine Kind soll Mittagspause halten, und das möglichst leise. Das große Kind muss Hausaufgaben machen, und das möglichst gründlich. Die Lieblingspastorin muss eine Goldene Hochzeit vorbereiten, und das möglichst schön. Was keiner weiß: Ich muss zwar die Küche aufräumen, und das möglichst umfassend. Aber danach habe ich erstmal frei...

Wenn ich aber wirklich Hilfe brauche, weil ich auch noch etwas anders vorzuhaben habe oder einfach keine Lust habe, alles alleine zu machen, dann zähle ich natürlich nicht eins-zwei-drei, sondern bitte mein großes Kind höflich um Mithilfe. Da gibt es dann eins-zwei-drei mögliche Reaktionen. Möglichkeit eins: Schnell ein paar Teller aufeinanderstapeln und auf die Spüle stellen und dann leise pfeifend versuchen, das Weite zu suchen, ohne dass Papa merkt, was das bedeutet: „Ich geh mal eben auf Klo!!“ Möglichkeit zwei: Gaaanz laaangsam helfen, so dass netto auch nur ein paar Teller dabei herauskommen, gleichzeitig aber genügend Zeit im Spiel ist um zu versuchen, dem gestrengen Herrn Vater ein Pudding als Nachtisch außer der Reihe aus dem Ärmel zu leiern.

Möglichkeit drei, auch die kommt vor und soll nicht unerwähnt bleiben: Das Kind hilft. Ohne wenn und aber, mit ruck und zuck, ohne Genörgel, ohne Bedingungen, ohne Extras, einfach so. Ja, das gibt es.

Und manchmal, ja, da kommt die Hilfe nicht nur auf ausdrückliche Anordnung oder Bitte, da kommt sie einfach so. Da komme ich in die Küche, und der Tisch ist schon gedeckt. Da stehen Blumen auf dem Tisch, an jedem Platz liegt eine kunstvoll gefaltete Serviette, die Stühle stehen an ihren Plätzen, die Zeitungen sind von der Anrichte geräumt. Manchmal? Wenn ich so darüber nachdenken: öfter. Hoffentlich nicht sehr viel öfter, als ich es bemerke!

In „Rücken an Rücken“, dem neuen Roman von Julia Franck, putzen die zwei Kinder vor der Rückkehr der Mutter in tagelanger Arbeit das ganze Haus und räumen auf und waschen Gardinen und stellen Blumen auf den Tisch und kochen ein schönes Essen ‒ als die Mutter wieder da ist, bemerkt sie nur, dass die beiden vergessen haben, das Altglas wegzubringen, wie sie es ihnen vor der Abreise aufgetragen hatte.

Das tat mir als Vater und Hausmann beim Lesen gleich zweifach weh!

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