Rainer Kolbe Das Kind

 

257 Mädchensocken

Wenn ich mich beim Sockensortieren darüber aufrege, dass von so vielen Paaren nur ein Partner da ist, ruft mir das Kind aus seinem Zimmer zu: „Du musst die Waschmaschine auseinander bauen, da sind sie drin, die anderen!“ Ich mache mich doch nicht zum Affen und baue in aufwändiger Arbeit die Waschmaschine auseinander und finde ein paar zerfetzte Reste billiger Socken? Von der Frage, ob ich die Maschine hinterher wieder ins Ganze zu bringen vermag, mal ganz abgesehen ...

Neunmalkluges Kind! Ich geh nach nebenan. „Sind hier vielleicht einzelne Socken??“ Das Kind grinst. „Nöhö.“ Natürlich nicht, klar.

Ich lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Herrje! Hier ist Handlungsbedarf angesagt. Wie von selbst fallen mir Wörter ein wie „Schuttcontainer“ oder „Industriestaubsauger“. Man kennt auch das Schild vom Waldspaziergang: „Schutt abladen verboten!“ Es wäre sinnvoll gewesen, an der Tür dieses Zimmers ein solches Schild anzubringen. Statt dessen hängen dort Schilder, die Erwachsenen den Zutritt, nun ja, erschweren sollen.

Aber ich bin selbst schuld. Früher war das große Kind ein kleines Kind, und wenn es im Kindergarten war, dann habe ich ab und an mal sein Zimmer aufgeräumt und sauber gemacht. Konnte es ja noch nicht so gut alles allein machen. War auch nicht so schwierig: Große Stofftiere in den großen Korb, kleine Stofftiere in den kleinen Korb, Legosteine in die Legokiste, Playmobilfiguren in die Playmobilkiste und Buntstifte in die Schachtel mit den Buntstiften. Ich erinnere mich aber gut, dass ich um den Basteltisch schon damals einen ehrfurchtsvollen Bogen machte: zu unklar war, was da in Arbeit zu sein schien, zu filigran vieles, was vielleicht fertig war, zu aufwändig auch, was entfernt an Müll gemahnte und doch keiner war.

Das damalige Zimmer war allerdings etwas kleiner. Bei unserem Umzug vor anderthalb Jahren hat das Kind es geschafft, sich das größte und schönste Zimmer oben unter dem Dach unter die zarten Nägel zu reißen. Viel Platz... viel Platz auch um Dinge abzulegen und fallen zu lassen! Und zu den Büchern und Stofftieren und Bastelsachen sind nicht nur weitere Bücher und Stofftiere und Bastelsachen gekommen, sondern auch neue Dinge wie Werkzeuge, selbst ausgesuchte Mädchenklamotten, Schulsachen, Zeitschriften, Schienbeinschoner, Spielzeugschminke und dergleichen mehr.

Und all das liegt jetzt so herum und quillt aus Regalen und Fächern und erwartet von mir aufgeräumt zu werden, wenn das Kind in der Schule ist? Doch das lässt sich nicht mehr mit einigen Kisten und Körben bändigen. Und ist das Kind nicht auch bald neun Jahre alt und wird bitte sein Zimmer selbst aufräumen können?! Ja, doch, das kann es und tut es sogar, zum Beispiel, wenn Besuch droht. Was es nicht kann, sind zwei Dinge: aussortieren und auch die, sagen wir mal, zweite Ebene beräumen, also die Ebene unter dem Regal und unter dem Tisch und unter dem kleinen Sofa.

Also muss ich aussortieren und die zweite Ebene beräumen. Doch schon beim Versuch auszusortieren stocke ich: zu unklar ist, was da in Arbeit zu sein scheint, zu filigran vieles, was vielleicht fertig ist, zu aufwändig auch, was entfernt an Müll gemahnt und doch keiner ist.

Vielleicht fange ich ganz einfach an. Zum Beispiel bei den Socken: Neben dem kleinen Sofa liegen nicht weniger als vier Paar Mädchensocken. Ich blicke mein Kind fragend an. Wieso liegen hier acht Socken? Legt man die schmutzigen nicht in den Wäschekorb? Das Kind grinst. „Papa!! So sieht das eben aus in Große-Mädchen-Zimmern!!“ Wie soll es erst werden, wenn es wirklich ein großes Mädchen sein wird?

Spaßeshalber werfe ich auch einen Blick in die zweite Ebene, also unter das kleine Sofa. Sieh an, mein lang gesuchter Tesafilmabroller, alter Schwede, sieht man dich auch mal wieder? Und gleich daneben die vermisste Brotdose mit den springenden Pferden! Aber, noch viel besser, drei der fehlenden einzelnen Socken!

Ein erfolgreicher Tag für einen Jäger und Sammler.

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