Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge fünfundzwanzig
Der Gottesdienst - Teil II

In der letzten Woche wurde – aus der Praxis, für die Praxis – gezeigt, wie Sie sich mental und körperlich vorbereiten müssen, wenn Sie mit einer ganz normalen Vierjährigen einen ganz normalen Gottesdienst besuchen wollen. Der heutige zweite Teil erläutert einige wesentliche Elemente der sakralen Handlung.

Eingang: Das Laufrad ist ordentlich geparkt, noch zwei Schritte bis zur Kirchentür. Papa zum Kind: „Musst du noch mal eben?“, Kind zum Papa: „Nö!!“. Zwei Schritte hinter der Kirchentür, leises Stimmengemurmel, gedämpftes Licht, das Kind klammert sich an Papas Hand: „Papa, ich muss mal!!“ Wenn Sie mutig sind, dann buchen Sie das locker unter Aufregung.

Gesang: Im Eingangsbereich der Kirche liegen Gesangbücher bereit; nehmen Sie zwei. Entweder will das Kind während des Gottesdienstes ein eigenes, auch wenn es noch nicht lesen kann. Oder die Puppe Lara braucht ein Gesangbuch, auch wenn sie noch nicht singen kann. Wenn weder Kind noch Puppe ein eigenes Gesangbuch wollen, nehmen Sie trotzdem zwei mit, eines wird Ihnen nämlich während des Gottesdienstes immer wieder von der Kirchenbank geworfen.

Gebet: „Papa, schläfst du??“

Predigt: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.“ Kind: „Wie lange noch??“ Wenn Sie schlau sind, haben Sie die Pixi-Bücher bis jetzt zurückgehalten. Sie greifen lässig in die Jackentasche: „Ich habe einen Freund, der ist Fleischermeister.“ Sie leihen der Predigt ein Ohr. Das andere Ohr leiht sich Ihr Kind und murmelt es mit der Fleischermeistergeschichte voll, die kann es nämlich auswendig. Die Collage klingt dann in ihrem Kopf ungefähr so:

„Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Jürgen, der war Fleischermeister. Und er sprach zu ihm: Folge mir, die Metzgerei ist gleich um die Ecke! Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, viele möchten wissen, welches Fleisch besonders fettarm ist. Und alle saßen zu Tisch mit Jesus. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie: Heute werden wir das Geheimnis der Würstchen lüften! Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken, und er zeigte die verschiedenen Geräte. Geht aber hin und lernt, was das heißt: ‚Helma und Jürgen bieten auch eine Partyservice an’. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten, und wenn ich groß bin, werde ich auch Fleischermeister. Amen.“

Kollekte: Geben Sie dem Kind einige Münzen, es soll Anteil haben und geben lernen. Der Beutel geht durch die Reihen, der Küster lächelt das Kind an, das Kind wirft die Münzen in, nein, knapp neben den Beutel. Der Küster lächelt Sie an, und Sie suchen einige Münzen während des nächsten Liedes unter benachbarten Bänken und Schuhen.

Vaterunser: Einige Teile des Vaterunsers kennt das Kind schon und kann sie mitmurmeln. Zu allen Teile aber kennt es aus dem Kindergottesdienst die dazugehörigen Armbewegungen und wird Sie mit seiner kleinen Faust entweder schmerzhaft im Hüftbereich touchieren oder Ihnen die Brille von der Nase hauen.

Orgel: Die Orgel erklingt zum Nachspiel, der Gottesdienst ist zu Ende. Wenn Sie jetzt allerdings denken, dass damit alles zu Ende ist, so irren Sie! Nächste Woche erfahren Sie an dieser Stelle, was alles nach dem letzten Orgelton passieren wird ...

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