Rainer Kolbe Das Kind

 

260 Die Abrechnung

Neulich war das kleine Kind ein wenig krank, um es moderat zu sagen, und so war ich gut ausgelastet mit väterlicher Fürsorge und hatte wirklich keine Zeit für einen samstäglichen Einkauf beim Höker. Allerdings fehlte es an Salat und Brot und Milch. So kam ich auf die Idee, das große Kind zum Einkaufen zu schicken.

Das ist nicht sehr originell, ab und an macht es das sowieso, und außerdem trägt es regelmäßig Teile seines Taschengeldes zum Laden und kauft davon Dinge, die schon rein äußerlich so süß und klebrig aussehen, dass ich sie noch nicht einmal wahrnehme, geschweige denn meinem Kind kaufen würde.

Also schrieb ich in meiner allerklarsten Schönschreibschrift Gurke, Salat, Milch, Mortadella, Schinken, Vanilleeis und Brot auf einen kleinen Zettel und überreichte diesen dem Kind. „Was heißt das hier??“, das Kind behauptete, meine Schrift nicht lesen zu können, und schrieb alles in der eigenen Schrift noch einmal daneben. Ich hoffte, dass das nicht nur ein Trick war, um zweimal Eis zu kaufen.

Ich suchte mein Portemonnaie und stellte fest, dass ich leider nur einen Fünfzig-Euro-Schein darin hatte und vierundzwanzig Cent. Mit mahnenden Worten überreichte ich meinem Kind den Schein und achtete darauf, dass das Kind darauf achtete, ihn gut wegzustecken. Das Kind nahm sein Pippi-Langstrumpf-Portemonnaie, warf sich Jacke und Helm über und radelte los.

Den Rest des Vormittages verbrachte das Kind damit, mir das Wechselgeld zurückzugeben.

Es fing damit an ‒ so berichtete das Kind ‒, dass es frei nach Gedächtnis einige Dinge aus den Regalen nahm, zur Kasse ging und bezahlte. Beim Bezahlen fiel ihm wie zufällig der Einkaufszettel in die Hände, und es stellte fest, dass das kindliche Gedächtnis trügerisch sein kann, und also musste es noch einmal durch den Laden, um auch die restlichen Dinge einzukaufen.

Jetzt saß das Kind am Küchentisch, hatte einen Haufen Geld vor sich und ein Problem. Denn wenn man nicht auf den Einkaufszettel guckt, hat man hinterher zwei Kassenzettel und muss rechnen. Hat das Kind mit einiger Mühe und unter Opferung der Zungenspitze 2,32 Euro plus 5,96 Euro gerechnet, musste die Summe nur noch von den fünfzig Euro abgezogen werden. „Wieso??“

Nachdem das geklärt war, machte sich das Kind also an 50 Euro minus 8,28 Euro und kam nach einigen etlichen Mühen und mit einigen etlichen Hilfestellungen meinerseits ganz korrekt auf 41,72 Euro. Und zählte also aus dem Haufen Münzen und Scheinen vor sich mein Wechselgeld heraus, was nicht gelang, denn dort lag deutlich weniger. Was das Kind an den Rand des Tränenausbruchs brachte, denn im Pippi-Langstrumpf-Portemonnaie waren auch noch Reste des letzten Taschengeldes drin, und das konnte ja alles überhaupt gar nicht sein.

Ich schmunzelte und beruhigte das Kind, neinnein, es habe völlig richtig gerechnet, aber einen Aspekt leider völlig außer acht gelassen. Fragend besah mich das Kind, ich grinste und sagte, dass es doch auch Brot gekauft habe. Ach ja.

Beim Bäcker im Vorraum des Ladens gibt es keine Kassenzettel, aber natürlich weiß ich, wie viel das vom Kind gewählte Brot kostet, und also musste der Betrag nur noch abgezogen werden. „Wieso??“

Nachdem das geklärt war, machte sich das Kind also an 41,72 Euro minus 2,90 Euro, eine Rechnung, die sogar manche Erwachsene schon an gewissen Grenzen bringen dürfte. Mit einigen etlichen Mühen und mit einigen etlichen Hilfestellungen meinerseits kam das Kind dann ganz korrekt auf 38,82 Euro. Und jetzt stimmte auch das Restgeld im Pippi-Langstrumpf-Portemonnaie und sogar das Resttaschengeld war wieder da! Puh!

Beiläufig fragte ich dann noch, wo das Brot denn eigentlich sei. Ja, nun ja, das war nicht da, lag nicht auf dem Tisch und nicht auf der Anrichte und nicht im Fahrradkorb. Das Kind hatte es vor lauter Einkaufsmühsal schlicht auf der Bäckertheke vergessen...

Aber nach all den mathematischen Strapazen dürfte eine weitere kleine Radtour ganz entspannend gewesen sein.

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