Rainer Kolbe Das Kind

 

261 Angst vor Advent

Nun stand aber der Adventsflohmarkt der Schule vor der Tür. Unbedingt wollte das Kind dabei sein und einen eigenen Flohmarktstand betreiben. Es galt also, das Kinderzimmer aufzuräumen, Inventur zu machen und wenigstens eine Kiste zusammenzustellen mit Spielzeug, dass weder heiß geliebt war noch für den kleinen Bruder oder die noch kleinere Kusine tauglich war, ist oder jemals sein würde.

Das stellte sich als schwierig heraus. So manches Kleinkindspielzeug war emotional hochwertig besetzt. Ich drehte so ein Teil in der Hand, „nein, Papa, damit spiele ich sooo gerne!!“ Mein Hinweis, dass dieses letzte Gernspielen zirka zweieinhalb Jahre her sei und dass vielleicht doch jetzt der kleinen Bruder damit glücklich werden könne... „Nein!!“ Okay, war ja nur eine Idee.

Immerhin, von einigen wenigen Dingen konnte sich das Kind dann doch trennen, mit den Barbies hat es eh nie gespielt, und einige Bücher weiß es jetzt in den kräftigen Händen des kleineren Bruders, ist es doch längst auf höherer, selbst lesender Stufe angelangt und hat in diesem Jahr erste konkrete Buchwünsche. Also konkrete Bücher zum konkreten Selbstlesen.

Schließlich hatten wir die kleine Kiste halbwegs gefüllt. Ich gab noch einige Bücher dazu, die ich aus meinem eigenen Regal aussortiert hatte, um das Angebot abzurunden und auch interessierten Erwachsenen etwas zu bieten. Das kleine Kind warf auch schnell ein paar besonders geliebte Spielsachen in einen Schuhkarton und krähte fröhlich „Flohmarkt! Flohmarkt!“. Mühsam versuchte ich zu verdeutlichen, was „Flohmarkt“ bedeutet und dass all diese schönen Dinge hernach fort sind und weg für immer. So blieb der Schuhkarton doch zuhause.

Dann zogen wir los zur Schule. Vor Ort stellten wir schnell fest, dass manche Familien schlauer gewesen waren als wir und nicht nur das Kinderzimmer aufgeräumt hatten, sondern auch gleich den ganzen Dachboden und den halben Keller und also nicht nur bergeweise Spielzeug und Kinderbekleidung anbieten konnten, sondern auch ihre alten Computer, Stapel von Vinylschallplatten und eher nicht so kindgerechte Bücher.

Ein kurzer Rundgang: Es ist schon erstaunlich, was für ästhetische und pädagogische Unerträglichkeiten manche Mitmenschen bis vor gut einer guten Stunde in ihren vier Wänden aufbewahrt haben! Kaum vorstellbar, dass sich dafür Abnehmer würden finden lassen. Ebenso erstaunlich war, was für tolle Spiele und Bücher manch andere feilboten, Spiele und Bücher, die bei uns hoch im Kurs stehen. Wie kann man so etwas für ein paar Münzen weggeben?

Nach Kaffee und Kuchen machten wir Eltern weitere interessante Entdeckungen: Wie generös manche Kinder und Eltern waren und einem für den einen Euro gleich noch ein weiteres Teil hinzugaben - froh, noch mehr losgeworden zu sein! Und welche Phantasiepreise einige Anbieter für einige Kleinteile haben wollten!

Zwischendurch wollte das Kind natürlich auch ein wenig im großen Angebot an den Nachbartischen und in den anderen Klassenräumen stöbern. Hätten Sie mich vor einigen Wochen gefragt, ob ich mich einmal freiwillig hinter einen kleinen Tisch klemmen würde, um Barbie-Puppen feil zu bieten, ich hätte mit Hohngelächter geantwortet! Nun, an diesem Tag war es soweit... Als Verkäufer war ich völlig erfolglos, und wie ein schneller Blick in die Runde bestätigt, stand die Zahl der angebotenen Barbies in direktem Widerspruch zu der angeblichen Beliebtheit der langbeinigen Plastikblondine.

Am Ende kam es, wie es kommen musste: Wir Eltern erwarben mehr Dingen als das Kind verkaufte. Allerdings ging der Erwerb zulasten meines Geldbeutels, während der Erlös komplett im Pippi-Langstrumpf-Portemonnaie des Kindes verschwand.

Den größten Umsatz hat das Kind übrigens mit dem Verkauf der von mir aussortierten Bücher erzielt. Und ich habe jetzt schon Angst vor dem nächsten Advent und dem nächsten Adventsflohmarkt: Das Kind könnte auf die Idee kommen, sich in größerem Stil in meinem Bücherregal zu bedienen...

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