Rainer Kolbe Das Kind

 

266 Endlich mal richtig nass

Man gewöhnt sich an den Regen. Und wenn es gerade mal nicht regnet, fehlt einem geradezu etwas. Heute ist so ein Tag, wir sitzen am Frühstückstisch und schauen aus dem Fenster: Es regnet ‒ nicht! Auf der morgendlichen Runde mit dem Hund werde ich überhaupt nicht nass! Kann nicht sein.

Also beschließen wir, heute ins Schwimmbad zu fahren. Die Kinder sind begeistert. Endlich mal richtig nass! Nass bis auf die Haut! Nicht nur so ein bisschen eingeweicht wie auf der Hunderunde...

Ein Papa, ein großes Kind und ein kleines Kind ‒ und los geht’s! Doch halt, vorher ist noch so einiges zu suchen: Badebekleidung, Handtücher, die Schwimmbrille des großen Kindes, die Schwimmflügel des kleinen Kindes, mein Brillenband, Duschzeugs, frische Wäsche für hinterher, eine Tasche für alles. Das liest sich kurz und knapp. Und schon eine halbe Stunde später ist es ja auch so weit.

Alles ist beisammen, es kann losgehen! Das sieht dann so aus: Anziehen, rausgehen, einsteigen, das kleine Kind anschnallen, das kleine Kind abschnallen, aussteigen, ausziehen, das kleine Kind aufs Klo setzen, anziehen, einsteigen, anschnallen ‒ und schon geht es los!

Das Bad ist in der nächsten kleinen Stadt. Bei uns im Ort gibt es zwar ein Freibad, immerhin, das hat aber glücklicherweise im Januar geschlossen. Bei der Begeisterung der Kinder für Schwimmbad an sich bin ich nicht sicher, ob die beiden den kürzeren Weg nicht bevorzugen würden...

Als wir in der Stadt und vor der Schwimmhalle ankommen, verlässt gerade ein anderer Vater mit seinen beiden Kindern die Einrichtung. Bei dem Vorlauf, den ein Schwimmbadbesuch mit zwei Kindern hat, frage ich mich, wann der gute Mann heute morgen wohl aufgestanden sein mag?!

Wir gehen rein, passieren das Drehkreuz, betreten den Umkleidebereich. Während das große Kind alsbald in seinen Badeanzug steigt, hat das kleine Kind auch schon die Mütze abgenommen. Dabei ist das Umkleiden an sich ja nicht das Problem. Die Menschen sind das Problem! Denn heute gibt es ja diese schrecklich engen Einzelkäfige zum Umziehen fast gar nicht mehr, dafür einen eher weitläufigen Bereich, wo Männlein und Weiblein, Alt und Jung, Groß und Klein sich umziehen und man dezent zur Seite blickt, falls gerade was ins Blickfeld schwingt, was einem nicht selbst gehört.

Kinder sind da etwas weniger dezent. Menschen sind einfach zu interessant: Alte und jungen, große und kleine, dicke und dünne. Kurz: Das kleine Kind glotzt. Das große Kind übrigens auch, aber das versteht es wenigstens, wenn ich mich vernehmlich räuspere.

Immerhin KANN sich das große Kind alleine umkleiden, so dass ich beide Hände für das kleine Kind frei habe. Ich erinnere mich noch gut an frühere Besuche im Schwimmbad, als keines der Kinde ohne Hilfe klar kam und dann irgendwann ein nackter Mann über den Maxi-Cosi mit dem Ganzlütten fiel und dann rückwärts ...

Irgendwann haben wir es geschafft, sogar ich bin umgezogen. Wir haben alle Kleidungsstücke in Schränken verstaut, die Schränke verschlossen, die Schlüssel um die Handgelenke gebunden, die Schlüssel wieder abgebunden, die Schränke wieder geöffnet, herausgenommen, was noch fehlte ‒ Brillenband, Duschgel, Schwimmbrille ‒, die Schränke wieder abgeschlossen, die Schlüssel um die Handgelenke gebunden.

Unter der Dusche geht das interessierte Betrachten anderer Leute Körper nahtlos weiter, immerhin muss ich mich nicht vernehmlich räuspern, denn das große Kind duscht natürlich nicht bei „Herren“, sondern bei „Damen“.

Irgendwann ist auch diese letzte Hürde genommen, wir betreten die dampfende Halle und dümpeln alsbald im Warmhaltebecken und plantschen und genießen: Entspannung pur! Nach all den Leistungen dieses Vormittags war das auch bitter nötig.

Vor all den Leistungen des weiteren Vormittags ist das auch bitter nötig...

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