Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge neunundzwanzig
Beruf: Staubsauger

Bestimmt kennen Sie folgenden ländlichen Scherz bereits: Es klingelt an der Tür, das Kind öffnet. „Oh“, sagt der Fremde, „ist deine Mama zuhause?“ „Nö“, sagt das Kind, „vom Trecker überfahren.“ „Oh Gott, wie schrecklich! Du armes Kind! Kann ich denn deinen Papa sprechen?“ „Nö, auch vom Trecker überfahren.“ Der Fremde wird argwöhnisch. „Und was machst du den ganzen Tag so alleine?“ „Trecker fahren!!“, antwortet das Kind begeistert.

Die Wirklichkeit sieht natürlich, wie immer, ganz anders aus: Ich sauge Staub, es klingelt an der Tür, das Kind ist schneller. Der Fremde blickt nach unten: „Guten Tag! Ist deine Mama da?“ Das Kind guckt den Fremden lange und ernst an und sagt dann mit leichtem Zittern in der Stimme: „Mama ist in der Klinik...“

Ich kann Ihnen sagen, bei Fremden kommt das richtig gut! Natürlich ist Mama donnerstags in einer der Kliniken, die die Dünenlandschaft der nordfriesischen Küste verzieren. Als Pastorin bietet sie den Kranken Andacht und offenes Ohr. Aber das weiß der Fremde ja nicht.

Noch viel besser kommt aber folgende Variante: Ich sauge Staub, es klingelt an der Tür, das Kind ist schneller. Der Fremde blickt nach unten: „Guten Tag! Ist deine Mama da?“ Das Kind guckt den Fremden lange und ernst an und sagt dann mit leichtem Zittern in der Stimme: „Mama ist schon auf dem Friedhof...“

Dass die Pastorin quicklebendig ist und auf dem Friedhof ist, um dort mit dem Küster etwas zu besprechen, die Belange der Grabpflege betreffend – das verschweigt eine Vierjährige natürlich. Wahrscheinlich ist sie sich längst darüber klar, was ein Spannungsbogen ist.

Und der Vater? Eine Vierjährige kann noch nicht so konkret wissen, was ein „freiberuflicher Lektor“ so zu tun hat. Sie hat aber schon gemerkt, dass auch viele Vierzigjährige das nicht so konkret wissen.

Mache Eltern haben Berufe, die jedes Kind verstehen und sogar erläutern kann. Was eine Kindergärtnerin ist, das ist sowieso schon mal klar. Auch Arzt oder Bauer oder Lokomotivführer sind recht griffig. Man sieht ja, was diese Menschen tun: Kinder abhorchen, Gülle fahren, am Bahnübergang laut hupen und winken. „Und was macht dein Vater so?“

Da sagt das Kind schlicht: „Papa saugt Staub!!“ Es ist ja auch nicht zu überhören. Und es ist völlig korrekt, denn ich widme mich tatsächlich nicht nur dem Kind und dem Verfassen von kleinen Geschichtchen rund um dasselbe, sondern auch dem Hund. Und der Hund tut, was alle langhaarigen Hunde an allen dreizehn Monaten des Jahres tun: Er haart. Büschelweise. Und also muss ich ab und an den Staubsauger in Betrieb setzen, der eigentlich Haarsauger heiße müsste. Soviel Staub gibt es bei uns an der feuchten Küste ja gar nicht.

Mit dem Staubsauger hat es zudem eine besondere Bewandtnis: Ich habe ihn lieb! Das war mir lange Zeit nicht bewusst. Doch im vorletzten Lego-Katalog fand ich, was uns zueinander führte, den Sauger und mich. Dort war ein Spielhaus abgebildet mit etlichem Zubehör – natürlich „für Mädchen“. Und in den Erläuterungen zum Spielzeug las ich: „... mit vielen lieben Einrichtungsgegenständen wie einem Staubsauger ...“ Da habe ich unseren blauen Sauger angeguckt, und in der Tat, er guckte treu und – lieb.

Hat das jetzt wieder mit Gleichberechtigung zu tun?!

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