Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge vierunddreißig
Kindersprache, vermeintlich

Nichts freut Eltern mehr als das Lächeln ihres Kindes, das erste Krabbeln, die ersten Wörter. Das erste Wort unseres Kindes war „dö!!“, und es bedeutete alles zwischen dort, hier, sofort, Schokolade, will jetzt, will jetzt nicht, wo ist Mama und Feuerwehrauto. Danach kamen bald „biela“ und „bleeeb“ und „Looonglsh“ und „kückfüschen“.

Schon in meiner Kindheit gab es so etwas ähnliches wie Fernsehen und darin natürlich die Sesamstraße mit Ernie und Bert und Professor Hastig. Und ich erinnere mich an eine pädagogisch wertvolle Szene – mit echten Schauspielern, nicht mit Puppen –, in der die Oma ihrem jüngsten Enkelkind eine „Ladelade“ mitbringt und allerlei dummes Zeug faselt über ein „Töfftöff“ und den „Wauwau“, bis das ältere Enkelkind die Oma zurechtweist und zurecht hinweist darauf, dass es Schokolade, Trecker und Hund heißt.

Nun kann man natürlich versuchen, eine solche „kindgerechte“ Sprache zu vermeiden, denn einem Kind gerecht wird nur die richtige Sprache, die soll es ja lernen. Ein Hund ist immer ein Hund. Vielleicht wird man ab und an den Satzbau etwas vereinfachen oder allzu seltene Bezeichnungen durch vermeintlich gängige ersetzt. Vermeintlich.

Unser Kind formte im Alter von zwei Jahren das Wort „Motoate“ und bezeichnete damit ein Motorrad. Seitdem hat es sich weiterentwickelt, sprachlich. Sonst natürlich auch, aber besonders sprachlich. Nur wir Eltern haben uns nicht weiterentwickelt und vereinfachen noch immer. Die Motorräder haben sich übrigens auch nicht weiterentwickelt, die haben sich sogar zurückentwickelt. Und einem solchen degenerierten Gerät sind wir neulich begegnet, beim Einkaufen:

Ich will mit meinem Kind die Straße überqueren, um ein auf der anderen Seite gelegenes Geschäft aufzusuchen. Das Kind ergreift folgsam meine Hand und blickt nach links und rechts und links, während ich die Gefahren des Straßenverkehrs erläutere: „Warte, mein Kind, da kommt noch ein kleines Motorrad.“

Das Kind sieht zu mir auf mit einem Blick, in dem ich kaum etwas anderes als Geringschätzung erkennen kann, und äußert den schlichten, aber absolut demütigenden Satz: „Papa, das ist ein Quad!!“

Für diejenigen unter Ihnen, die mit den Schwachsinnigkeiten des modernen Verkehrs nicht so vertraut sind wie eine Vierjährige: Ein Quad ist ein kleines Motorrad auf vier Rädern, das seinem Fahrer irgendeine Art von gutem Gefühl vermittelt und alle anderen ob seines abstrusen Lärms in den Wahnsinn treibt.

„Papa, das ist ein Quad!!“ hat natürlich das Zeug zum familieninternen Klassiker. Die Geringschätzung in Blick und Tonfall ließ mich sofort beschließen, nie wieder „kindgerecht“ zu sprechen. Als ich schießlich zwei Tage später mein Kind beim Telefonieren belauschte und es auf die großmütterliche Frage, wo es denn am Wochenende gewesen sei, ohne mit der Wimper zu zucken „auf dem Kunsthandwerkermarkt in Süderschmedeby“ antwortete, da beschloss ich, wieder die wunderbarsten Schachtelsätze zu bilden und die abenteuerlichsten Bandwurmwörter. Und das macht richtig Spaß, wenn man es gemeinsam mit dem Kind macht. Probieren Sie es mal aus! Heute morgen an der Bushaltestelle fanden wir das Wort „Armaturenbrettablagemulde“. Wir Eltern sollten aufhören, unsere Kleinen zu unterschätzen.

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