Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge siebenunddreißig
Gurke geht

Bevor die Geschmackszotten richtig ausgebildet sind, geht in ein kleines Kind eigentlich alles rein, was man ihm vor den Rüssel hält. Falls es schon entwöhnt ist, sonst geht natürlich nur die Brust in den Rüssel. Bei unserem Kind gab es unmittelbar nach der Brust eine ganz starke Oliven-Schafskäse-Phase. Schokolade war völlig uninteressant, Harzer Käse hingegen der Renner. Lang ist es her...

Die folgende Auflistung ist gedacht für Eltern, die sich fragen: Habe ich etwas falsch gemacht bei der Frühernährung meines Kindes: Nein, habt ihr nicht! Für Eltern, die grübeln, ob das Kind die Karotte im Kindergarten gegen eine Milchschnitte eintauscht: Nein, tut es nicht. Natürlich nicht, kein Kind tauscht seine Milchschnitte gegen eine Karotte ein!

Was also geht und was geht nicht? Beginnen wir mit den Getränken: Karottensaft geht gut, Apfelsaft mit Leitungswasser (kein Mineralwasser!). Beim Abendmahl geht Traubensaft, sonst nur manchmal. Orangensaft ist ohne Chance.

Bier ging eine zeitlang auch gut. Unser Kind war knapp zweieinhalb Jahre alt, ich holte es von der Tagesmutter ab: „Was gab es bei Kirsten zu essen? Schokolade?“ „Ja!!“ (In dem Alter verraten sie sich immer.) „Und Kekse?“ „Ja!!“ (Sag ich doch.) „Und hast du auch ein großes Bier getrunken...?“ Kleine Pause. Dann, mit Nachdruck: „Nein, ich hab’ ein kleines Bier getrunken!!“ (Ich hätte nicht fragen dürfen.)

Nudeln gehen immer. Aber ohne Soße und mit viel Reibekäse. Mit sehr viel. Toastbrot geht immer und Knäckebrot auch, echtes Brot nur eine halbe Scheibe (die Rinde stört überraschenderweise nicht!). Oblate geht. Rosinenbrötchen geht immer, besonders gut, wenn es dick beschmiert ist mit Leberwurst.

Möhre geht gut, Paprika auch, Pilze gar nicht. Tomate geht nur warm, zum Beispiel mit Käse überbacken. Salat geht gar nicht. Es sei denn, ich schnippele Gurken in Scheiben, gebe Salz und Pfeffer dran: „Danke, Papa!! Wie lecker!! Gurkensalat!!“ Schafskäse geht gar nicht, Ziegenkäse wird gerne genommen.

Eine zeitlang ging sogar frischer Fisch! Wir hatten ihn nicht Fisch genannt, sondern Schwimmfleisch, und Fleisch mag das Kind. Irgendjemand hat sich dann verplappert, und seitdem geht Fisch gar nicht mehr.

Natürlich gibt es immer Hoffnung auf Veränderung, solcherlei Dinge sind im Fluss, die Zotten entwickeln sich: Oliven sind langsam wieder im Kommen, vorerst nur in homöopathischen Dosen. Schafskäse darf immerhin schon wieder auf dem Tisch stehen, ohne dass das Kind Anzeichen von Übelkeit zeigt.

Was aber nie ging und nicht geht: Obst. Während andere Kinder stundenlang auf Apfelspalten kauen und Erdbeeren eimerweise vernichten – nichts. Apfelsaft eben nur mit Leitungswasser, vom Apfelkuchen nur der trockene Boden. Im Restaurant wird zwar Pfannkuchen mit Apfelmus bestellt, doch das Schälchen mit dem Mus wird nach dem Pfannkuchen rübergeschoben mit den Worten „Ich bin satt!!“

Wer es schafft, dass unser Kind einen mittelgroßen Apfel verspeist – vor Zeugen, ohne optische Tricks, ohne rohe Gewalt –, der bekommt ein Abendessen in einem guten Restaurant spendiert, für zwei Personen. Bewerben Sie sich bitte per E-Mail über die Internetseite (siehe Kasten). Und für Hinweise, die zum Verzehr einer Apfelspalte führen, gibt es ein Eimerchen Brombeeren aus dem Pastoratsgarten.

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