Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

plus Download

 

Folge fünfundvierzig
Guten Morgen, Kindergartenbus!

Vom Kindergartenbus war beiläufig schon einige Male die Rede. Vielleicht erinnern Sie sich an die vergessene Puppe, von einigen gröberen Kindern entbeint. Heute soll dem Phänomen Bus etwas grundsätzlicher nachgegangen werden.

Eine feine Sache: Der Bus bringt morgens die Stöpselchen in den Kindergarten der nächsten Kleinstadt. Und mittags bringt er sie – meistens – auch wieder zurück. Er erspart dem Bürgermeister quälende Nächte mit der Frage, wo er das Geld für eine dorfeigene Kinderbetreuung hernehmen soll, und uns Eltern erspart er jeden Tag fünfundzwanzig Kilometer Autoherumfahrerei.

Wir beobachten an einem beliebigen Werktagmorgen: Es ist sieben Uhr sechsunddreißig, die Tür des Pastorats fliegt auf. Der Hund stürzt heraus, gefolgt vom Kind, gefolgt von mir. Ich stecke im Herauseilen eine Kinderhaarbürste in die Jackentasche (die Zeit war zu knapp, vielleicht geht da noch was an der Haltestelle?!), verfange mich in der Hundeleine und versuche, mir beim Jackezuknöpfen die Kindergartentasche um den Hals zu hängen. Die hat das Kind mit voller Absicht am Haken hängen lassen, Papa wird sie schon tragen. Natürlich mache ich das, denn darin sind auch die Möhrchen, die ich im Morgengrauen liebevoll geschnitzt habe und die das Kind heute Mittag ebenso liebevoll wieder nach Hause tragen wird.

„Tschüß, Mama!!“ Das Kind saust auf seinem Fahrrad die Warft hinunter, dass der Puppe auf dem Gepäckträger schlecht wird – ungefähr fünfunddreißig Meter weit. Denn dort liegt eine Vogelfeder. „Komm, dein Bus wartet nicht!“ Ich dränge, ich mahne, aber das Kind weiß mit der lässigen Erfahrung einer Viereinhalbjährigen, dass wir den Bus nicht verpassen werden: Auf den letzten Metern wird sie Papa einholen und überholen. Also legt sie das Rad erst mal ins Gras, dort liegt auch noch ein schöner Stein. Ich dränge, ich mahne, gemächlich steigt das Kind wieder aufs Rad, in diesem Moment steigt der Hund gemächlich über den Zaun der Nachbarin, er hat dort etwas Geschäftliches zu erledigen. Ich rufe, ich pfeife. Der Hund hebt eine Braue. (Das kann der wirklich!) Während ich in der Jackentasche nach einem Hundekackenotbeutelchen suche, sehe ich aus dem linken Augenwinkel, dass sich eine Gardine bewegt, und aus dem rechten Augenwinkel die Kirchturmuhr. Nachbarin oder Bus? Bus. Die Nachbarin kann ich auf dem Rückweg besänftigen. Ich haste weiter, und mit der lässigen Erfahrung einer Viereinhalbjährigen saust das Kind an mir vorbei, wenige Meter vor dem Ziel: „Erster!!“

Dann aber verfinstert sich sein Blick, das Kind wendet sein Rad, es will wieder zurück! „Ich hab Emil und Gustav nicht tschüß gesagt!!“ Tränen steigen auf. Emil und Gustav sind die Zwillinge. Wieder an der Gardine der Nachbarin vorbei und der Bus trotzdem weg? Nein. Ich bleibe hart und verspreche dem Kind, den beiden einen dicken Kuss zu geben, ja, versprochen, mitten auf die Schnauzen. „Papa, was man verspricht, muss man auch halten!!“

In meiner Tasche finde ich eine Kinderhaarbürste – in diesem Moment kommt der Bus angebrummt, zwei Minuten vor Plan. Das Kind klettert in den Bus und ich steh’ da mit der Büste in der Hand. Aber Sie leisten mir noch ein bisschen Gesellschaft hier an der Haltestelle und lesen in der nächste Woche: Ein Busfahrer wird geküsst.

zurück