Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge fünfzig
Thüthe Thebrath

Es gibt eine ganze Reihe netter unterhaltsamer Bücher von und über Papas und ihre Abenteuer. „Der Familienplanet“ von Herrn Wittstock und „Hausmann mit Tochter“ von Herrn Makowsky und „Die Herren Hansen erobern die Welt“ von Herrn Gricksch. Bemerkenswerterweise – aber das nur am Rande – sind fast alle dieser autobiographischen Romanhelden nur Teilzeitväter. Nichts gegen Teilzeitvaterschaft und Elternzeit. Aber so ganz echt kommen einem diese Herren natürlich nicht vor...

Und Kenner haben es sofort gesehen: Der Titel meiner letzten Folge wurde schamlos geklaut. „Allein unter Spielplatzmüttern“ ist auch ein Romantitel, das Büchlein schrieb Herr Nebe. Doch das schamlose Stehlen hat jetzt ein Ende. Wie das?

Das Kind war – einige Wochen mag es her sein – bei den Großeltern mütterlicherseits in der fernen großen Stadt und besuchte dort den Zoo mit allen Schikanen: Elefanten und Löwen und Pinguine und alles. Und kehrte begeistert zurück. „Wie war’s bei Oma und Opa?“ „Ich war mit Oma und Opa im Thoo und habe thüthe Thebrath gethehen!! Thooo thüüüth!!“

Und ich schickte mich an, angesichts dieser Aussage eine Folge zu schreiben nicht über Zoos und nicht über Zebras, sondern über das kleinkindliche Lispeln. Das Kind zerbeißt sich beim Reden und vor Eifer fast die Zunge, allerlei Zisch- und Spucklaute kommen aus seinem Mund, nur kein sauberes s. Bethonderth thüth finde ich dath Betteln um Thüthigkeiten: „Papa, ich will wath Thütheth!!“ Die Eltern haben die Möglichkeit, umgehend in Panik zu verfallen, den Kinderarzt zu konsultieren und im Internet schon mal nach herausragenden Logopäden zu forschen – oder ihren Kaffee gelassen weiterzutrinken: Kleinkindliches Lispeln ist normal und geht wieder weg. Außerdem: Wer jetzt schon fleißig das Ti-ejtsch übt, muss es später im Englischunterricht eben weniger üben.

Ich war also gerade dabei, an einer neuen Folge meiner Kolumne zu schnitzen rund ums Lithpeln und war schon so gut wie fertig. Da blätterte ich in einem unerwartet ruhigen Viertelstündchen gedankenverloren im „Kleinen Erziehungsberater“ von Herrn Hacke – und las quasi, was ich eben schrieb: „Das Kind lispelt ein bisschen... ach, Quatsch, es stößt eben etwas mit der Zunge an, das ist nicht schlimm, das wird sich legen. Wenn es sagt: ‚Papa, bekomm’ ich was Süßes?’, dann klingt ‚was Süßes’ etwa so, als ob es es mit englischem Ti-ejtsch aussprechen würde, also ‚wath Thütheth’.“

Danke, Herr Hacke! Da der kleine Erziehungsberater nicht ganz zu Unrecht recht bekannt ist, sah ich schon eine Plagiatsprozesslawine auf mich losrollen. Und ich sehe sie immer noch rollen. Denn ich weiß ja nicht, was irgendwo und irgendwann irgendein Papa aufgeschrieben hat, und das ist dann auch noch irgendwo gedruckt worden. Seit dem lese ich furchtsam und fieberhaft nur noch Papageschichten: „Wachsen Ananas auf Bäumen? Wie ich meinem Kind die Welt erkläre“ von Herrn Martenstein, „Lo und Lu“ von Herrn Ortheil und „Papas kleine Monster“ von Herrn Kneissler. Sogar Papagedichte gibt es, „Kille Kuckuck Dideldei“ von Herrn Gsella. Auch Zen kann helfen, „Zen und die Kunst der Vaterschaft“ von Herrn Lewis. Wenn Sie weitere Titel kennen, lassen Sie es mich wissen.

Ein Trost bleibt: Herr Hacke war mit seinen Kindern nicht im Zoo: „Ich war mit Oma und Opa im Thoo und habe thüthe Thebrath gethehen!! Thooo thüüüth!!“

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