Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge achtundfünfzig
Öffentliche Parade

Vor zehn Tagen haben wir das allerletzte Gartengerümpel auf den Dachboden geschleppt, und die Schweine sollen nun doch lieber in der Wohnung überwintern und wurden nach drinnen verfrachtet. Gerade noch rechtzeitig zur Geburt der Drillinge!

Jetzt aber kann der Schnee kommen, die Saison ist vorüber. Auch die touristische Saison übrigens, und deshalb sei ein Rückblick auf sie gestattet. Denn das Pastorat, das wir bewohnen dürfen, wird beiläufig in dem einen oder anderen Reiseführer erwähnt – so kommen eben auch Touristen vorbei.

In einer lokalen Broschüre las ich „privat genutzt“, und da möchte ich widersprechen. Es mag ein Hinweis sein auf die Wahrnehmung von Kirche in der restlichen Öffentlichkeit, wenn ein Pastorat als „privat“ bezeichnet wird – doch was heißt schon „privat“?

Am Fuße der Warft liegt ein dicker Stein, und darauf steht geschrieben „Pasters Hus“. Manche Touristen bleiben dort stehen und machen ihr Foto und gut ist. Manche klingeln um 13.17 Uhr und fragen, ob sie ein Foto machen dürfen. Dürfen sie. Manche fragen dann noch, ob sie einmal ums Haus herum gehen dürfen. Auch das.

Es gibt aber noch ganz andere. So ist es gewöhnungsbedürftig, wenn fremde Leute im Garten Rad fahren wie in einer öffentlichen Grünanlage. Wir haben uns daran gewöhnt, sitzen beim Essen und blicken versonnen in den Regen: Da steht eine Familie in Vollgummi um des Kindes Sandkiste und bedenkt sichtlich die Frage, ob Gartengerümpel und Schweinestall eher auf eine öffentliche Grünanlage oder eher auf eine private Nutzung verweisen. Später gehen sie dann weiter; immerhin lassen sie uns die Schweine da.

Kurz vor Ende der Saison wurden wir noch mit einem gänzlich neuen touristischen Interesse konfrontiert. Es klingelt an der Tür, ich öffne. „Guten Tag, wir wollten uns die Ausstellung ansehen!“ „Welche Ausstellung?“ „Die Stofftiersammlung!“ „Welche Stofftiersammlung?“ „Äh, man hat uns gesagt, äh, dass es hier eine Stofftiersammlung gebe?!“

Gemeint ist die große Parade. Hinter den beiden Fenstern der Diele, links und rechts der Eingangstür, tummeln sich insgesamt siebenundvierzig Stofftiere und Puppen. Das morgendliche Drapieren von Teddy und Flocke und Bente und Lara und Lelle und Momo und all den anderen an den Fenstern ist harte Arbeit, Kinderarbeit. Und ist die Arbeit getan, dann müssen wir uns sputen, denn der Kindergartenbus wartet nicht. Teddy und alle anderen aber winken uns lange noch hinterher, das ist ihre Aufgabe. Na, und mittags begrüßen sie uns schon von weitem.

Nicht weniger aufwändig als der morgendliche Aufbau ist der abendliche Abbau der Parade. Teddy und alle anderen müssen „ab nach oben und ins Bett!“, wie das Kind selbst. Leider ist eben jenes Kind abends sehr müde und kann bestenfalls noch Momo tragen. Der Transport der anderen obliegt mir. Ich habe schon überlegt, ob man in unserem Haus einen Lastenfahrstuhl einbauen kann, dann müsste ich nicht jeden Abend viermal gehen. Da Teddy schon einigermaßen gebrechlich ist, käme vielleicht auch ein Treppenlift in Frage. Das Denkmalschutzamt hat Einwände.

Womit wir wieder beim touristischen Interesse wären. Also, wenn Sie uns mal besuchen kommen, kommen Sie vormittags, dann ist das Kind nicht da, so können Sie die große Parade ungestört und in voller Schönheit genießen.

Und das Kind wünscht sich zu Weihnachten, ja, richtig, Stofftiere, woher wussten Sie das?

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