Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge neunundfünfzig
Kekse der Erinnerung

Irgendwie geht die Adventszeit zu schnell vorüber. Und schwupp, schon ist’s Weihnachten – egal, ob man sich dann schon weihnachtlich fühlt oder nicht. Mir geht das zu schnell. Gar in den Jahren, in denen der vierte Advent und Weihnachten dicht beieinander liegen.

Da kann es helfen, rechtzeitig einen feinen Plan zu machen. Einen feinen Plan, um – beispielsweise – gemeinsam zu backen. Im letzten Jahr waren wir da noch völlig planlos: Als ich meine Frau in der beginnenden Adventszeit frug, ob sie morgen oder übermorgen Zeit habe mit dem Kind und mir Kekse zu backen, da warf sie einen Blick in ihren Kalender mit Trauungen und Beerdigungen und allem anderen und schüttelte bedauernd den Kopf. Wir sollten doch in drei Tagen noch mal nachfragen. Nach drei Tagen sah es natürlich genauso aus. Und schwupp, schon war’s Weihnachten, und nix war mit Feingebäck.

In diesem Jahr haben wir das ganz anders angestellt. Natürlich nervt es, dass Weihnachten heutzutage scheinbar im September beginnt. Doch Anfang November sollte man mit ersten Planungen dann doch beginnen und den Familienkalender auf dem Küchentisch ausbreiten. 

Um es vorweg zu nehmen: Es hat wunderbar geklappt. Da stand also seit Anfang November ein Adventskeksebacktag im Familienkalender, und der Termin wurde tatsächlich nicht verschoben oder ignoriert oder als willkommene Zeitreserve in Anspruch genommen. Und alle waren da: Mama, Kind, Papa, Hund. Alle vier voll der Vorfreude auf Eier und Salz, Milch und Mehl, Safran und Gel. Die Aufgabenteilung war klar: Mama bereitet den Teig und rollt ihn aus und heizt den Ofen vor, das Kind sticht wahllos mit den Förmchen im Teig herum und futtert zwischendurch alles auf, was über den Rand steht, und Papa hält den Hund mit beiden Händen fest, damit der nicht auf den Tisch springt, um alles aufzufuttern, was nicht über den Rand steht.

Wir buken also und hatten unseren Spaß und machten so eine Art Action-Body-Painting, nur mit Mehl, jedenfalls sahen wir hernach so aus. Mittendrin aber hielt meine Frau für einen Moment inne und sagte versonnen: „Wie damals, bei meiner Oma...“ Die Schimmer aller Erinnerungen huschten über ihre Augen.

Tja, und jetzt haben wir drei herrlich duftende Dosen mit Keksen in der Küchen stehen, und zwar ganz oben, wo kein Kind ankommt und auch kein Hund... So weit also und so normal zugleich: tausendfach in vielen Familien landauf, landab.

Die irgendwie ganz besondere adventliche Note bekam unser Adventskeksebacktag nachträglich. Durch, sozusagen, seine historischen Dimensionen. Denn ein paar Tage später waren wir in der ganz großen Stadt; dort wohnen die Uroma und der Uropa des Kindes. Die beiden sind nicht mehr unbedingt das, was man jung und dynamisch nennt, vielmehr sind sie alt und gebrechlich, mitunter grantelig und meistens sehr müde auf eine grundsätzliche Art. Wenn aber ihre Urenkelin zu Besuch kommt, dann sind sie noch einmal jung im Herzen und lachen und scherzen.

Nun, wir brachten den beiden eine kleine Auswahl unserer Kekse mit – „Uroma!! Den hab ich gebacken und den auch und den auch und den auch!!“ – und berichteten ihnen von unserem Adventskeksebacktag. Da huschten die Schimmer aller Erinnerungen über Uromas Augen. Und leise sagte sie zu meiner Frau: „Wie damals, als du noch ein kleines Kind warst...“

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