Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge sechsundsechzig
Beten hilft

Irgendwie sind Glaube und Religion und Theologie ja auch etwas Seltsames, zumindest für einen großen Teil unserer Mitmenschen, auf jeden Fall aber etwas Rätselhaftes, Befremdliches. Zu Beginn meines schöngeistigen Studiums überlegte ich, ob es nicht schön sei für den Geist, Theologie als zweites Fach zu wählen. Mitstudenten frugen dann allen Ernstes, ob ich „streng religiös“ sei – als ob es darauf ankäme! Besonders angetan war ich von dem Wörtchen „streng“. Es legt doch den Gedanken nahe, dass sich Studierende der Sinologie mindestens die Augen korrigieren lassen.

Unser Kind wird sicher nicht „streng religiös“ erzogen, spielerisch religiös aber ist es von ganz allein: Da stehen Kind, Papa und Hund an der Bushaltestelle und warten auf den Kindergartenbus. Der Hund kratzt sich mit der rechten Hinterpfote am rechten Ohr, Papa kratzt sich mit der linken Hand am rechten Ohr und das Kind besichtigt die am Himmel ziehenden, zart vom ersten Morgenlicht behauchten Wolken.

„Papa!! Da ist Gott!! Da, hinter der großen Wolke!! Da ist sein Gesicht!! Huhu!! Komm’ mal her zu mir!!“ Na ja, welcher Gott ließe sich so eine Einladung entgehen? Welcher wollte dem Kind widerstehen? Unser Gott widersteht den Kindern nicht.

Und dann steht Gott also vor uns. Er ist offenbar etwas kleiner als das Kind, denn es muss sein Haupt ein wenig nach unten neigen. „Kommst du mit mir in den Kindergarten??“ Und weil das Kind wohl ahnt, dass mein erwachsenes Sehvermögen naturgemäß beschränkt ist und ich Gott also irgendwie nicht so wahrnehmen kann wie es selbst, erläutert es: „Papa, Gott kommt heute mit mir in den Kindergarten!!“

Tja, und dann naht auch schon der Kindergartenbus, lädt die beide ein und nimmt sie mit auf die Reise. Übrigens taucht Gott am Mittag nicht wieder auf, ich vermute, er klappert so nach und nach alle Kinder des Kindergartens ab und ist einfach zu Lea und Linda oder Louisa zum Essen gefahren.

Für’s mittägliche religiöse Gefühl gibt es ja das Tischgebet, falls Gott mal gerade nicht persönlich da ist und ich also kein weiteres Gedeck auflegen muss auf Geheiß des Kindes. Und wehe, meine Lieblingspastorin muss mir schnell noch etwas berichten, wenn das Kind schon Hände gewaschen hat und auf seinen Hochstuhl geklettert ist. „Zu Tisch!! Sonst fange ich alleine an zu beten!!“ Was sie dann auch tut. Sitzen wir aber alle endlich vereint am großen Tisch, muss natürlich noch einmal gebetet werden: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir, hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott, wir danken dir!! AMEN!! GUTEN APPETIT!!“ Das Gebet hat sie im Alter von zwei Jahren gelernt, und es kann nicht gelöscht noch überschrieben werden.

Beten mit Kindern, nichts gehört enger zusammen. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln stellte im letzten Jahr einen Zusammenhang zwischen Religiosität und Kinderzahl fest. „Im weltweiten Vergleich haben religiöse Menschen 2,1 und nicht religiöse 1,6 Kinder. Überzeugte Atheisten begnügen sich mit 1,5 Kindern“, heißt es in der Studie. Freunde von uns haben drei Kinder, das vierte ist unterwegs – wenn das der Maßstab ist, bin ich nicht religiös, ja, noch nicht mal Atheist. „Wer häufig betet, hat in Deutschland durchschnittlich zwei Kinder. Wer nie betet, hingegen nur 1,3 Kinder.“

Beten hilft.

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