Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge achtundsechzig
Schlafwissenschaft

Im zarten Altern von ungefähr zwei Jahren bemühte sich das Kind hörbar und sichtbar um eine verständliche Artikulation seiner Laute, und es kamen so schöne Wörter dabei zum Vorschein wie „Moutitie“ und „Motoate“. Aus dem nichts heraus äußerte es dann eines Abends seinen ersten vollständigen Satz: „Ich bin satt und will in Bett gehen!!“

Wir Eltern waren stolz und beglückt. Stolz über diese sprachliche Leistung und beglückt über den Umstand, dass das Kind freiwillig (!) ins Bett (ins eigene!) wollte, und zwar jetzt (!). Und wir also mithin wenige Minuten danach in unser Bett gehen konnten, also früh.

Was ja nicht immer der Fall ist. Als Eltern hat man mitunter Mühe, so lange wach zu bleiben, dass man nicht aus Versehen vor dem Kind ins Bett geht. Warum sind Eltern immer müde? Klar, Säuglinge müssen von der Mutter gesäugt werden, auch nachts. Oder vom Papa gewickelt, getröstet, besungen. Doch das fünfjährige Kind schläft durch.

Es ist nicht die Nettoschlafzeit der Eltern, die eine viel zu geringe ist. Als ich kürzlich in einer schläfrigen Viertelstunde in einem alten Buch blätterte, stieß ich auf die Ausführungen eines gewissen Albert E., und da war die Lösung! Es ist der Gesamtenergieaufwand, der uns Eltern so müde macht!

Wenn ich mich körperlich oder sogar geistig bewege, wende ich Energie auf. Bewege ich mich stärker, wende ich mehr Energie auf. Und irgendwann muss mein ganzer Apparat mittels Schlaf neue Energie tanken. So weit, so klar. Nun gibt es aber noch den familiären Gesamtenergieaufwand, der dazu führt, dass alle Beteiligten abends in die Kissen sinken und am liebsten bis übermorgen schlafen würden, wenn das Kind nicht um kurz vor sechs Uhr wieder auf der Matratze hüpfte. Auf unserer, nicht auf seiner.

Nun habe ich in den Ausführungen von Albert E. gelesen: E = mc2. Der familiäre Energieaufwand (E) ist das Produkt der Aufwendungen von Mama (m) und Quadratkind (c2). Zu E.s Zeiten waren die Väter noch nicht sooo sehr mit der Kinderbetüdelung befasst, weshalb mit dem m heutzutage auch die Väter gemeint sind, und c steht für Cind, eine altertümliche Schreibweise, die zu E.s Zeiten fallweise noch verwendet wurde.

Im Klartext: Wende ich als Vater 2 Energieeinheiten auf (m = 2) und das Kind auch 2 (c = 2), so ist der familiäre Gesamtenergieaufwand E = 2 x 22 = 8. Erhöht das Kind seinen Energieaufwand nur minimal, also zum Beispiel auf 3 Einheiten, so ist das Produkt schon 2 x 32, also 18! Und gibt sich das Kind des abends ein wenig Mühe und steigert seinen Aufwand durch einige simple Tricks noch weiter auf 5 Einheiten, dann ist die Summe der gesamten familiären Energieaufwendungen schon bei 50! Nebenbei, der Tricks sind viele: Fallenlassen von Gegenstände, Verschütten von Saft, besonders langwieriges, sorgfältiges Polieren jedes einzelnen Zahns mit der Bürste und stundenlanges Suchen des Schlafteddys, der längst im Bett ist.

Da ich aber in einem solchen Fall auch mehr Energie aufwenden muss (Aufheben, Aufwischen, Ermahnen, Mitsuchen), also vielleicht 4 Einheiten, so sind wir bei E = 4 x 52 = 100. Und aus diesem familiären Gesamtenergieaufwand resultiert auch die abendliche Erschöpfung aller Beteiligten. Zumindest die der Eltern. Manche Kinder können ihren Energieausstoß am Abend sogar noch steigern!

Aber warum manchen sie das?

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