Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einundsiebzig
Jesus starb als Baby

Wir können nicht sagen, was das eine oder andere Ding der Welt im Hirn einer Fünfjährigen anrichtet, welche Assoziationen es auslöst, welche Fragen aufwirft. Zum Beispiel der Gottesdienst im Allgemeinen und die darin enthaltenen Gebeten im Besonderen.

Vor Ostern und den Schokoladenhasen liegen noch Karfreitag und der Stein vor dem Grab. Da scheint die Frage nach Tod und Sterben gerade ganz passend. Es ist aber nicht einfach, mit der Frage „Papa, wann sterbe ich??“ umzugehen.

Tod und Leben sind bekanntlich gang und gäbe. Erstens ja an sich, auch wenn wir gerne so tun, als ob das nicht so sei. Dann, weil der Beruf meiner Lieblingspastorin es so mit sich bringt. Und schließlich ist Uropa gestorben vor einigen Monaten.

„Papa, warum ist Uropa gestorben??“ „Nun, Uropa war schon sehr alt.“ „Uroma ist auch sehr alt, Papa!! Uropa war aber älter, deshalb ist er früher gestorben!!“ Gut, das ist nicht zwingend, doch ich möchte das jetzt nicht vertiefen. Das tut das Kind dann selbst: „Papa, wann sterbe ich??“ „Oh, das dauert noch. Erst, wenn du auch ganz alt bist.“ Kleine Pause, man sieht es nachdenken. „Jesus ist aber als Baby gestorben!!“

Wenn man ein Kind mehr oder weniger regelmäßig in ganz normale Gottesdienste mitschleppt, dann hört und sieht es einigen Texte und Gebete, die es versteht. Und bei anderen Texten und Gebeten, die nicht so ganz gemacht sind für Fünfjährige, da spielt es leise mit der Puppe oder blättert in seinem Grüffelo-Buch und ist mit den Gedanken sonst wo. Denkt man.

Aber Kinder können alles mögliche gleichzeitig tun und denken und hören. Zum Beispiel leise im Grüffelo-Buch blättern und trotzdem mitbekommen, was die Gemeinde betet. Auch wenn es nicht so ganz gemacht ist für Fünfjährige.

„Jesus ist aber als Baby gestorben!!“, sagt das Kind und zitiert: „Geboren von der Jungfrau Maria, gestorben und begraben.“ Was es nicht versteht, lässt es weg, das taucht verlässlich demnächst als Frage wieder auf: Was heißt gekreuzigt? Wer war Pilatus?

Jesus ist offenbar gleich nach der Geburt, also als Baby gestorben. Wir können nicht wissen, welche Assoziationen ausgelöst werden, welche Fragen aufgeworfen werden. „Papa, wann sterbe ich??“

Als moderner Vater ist man geistig und geistlich flexibel, möchte dem Kind viele Wege des Lebens und also des Glaubens aufzeigen und ist bereit, die allfälligen zehn Kinderfragen pro sechzig Minuten zu beantworten – doch zur karfreitäglichen „Andacht zur Sterbestunde“ gehen wir lieber nicht. Es gibt Fragen, für die ist es noch zu früh. Und ich bin auch nicht sicher, wie andächtig eine Andacht ist, wenn zehn Fragen halblaut in die kleine Runde der Trauergemeinde geworfen würden. Oder will ich mich nur drücken? Vor dem Kind, vor der Gemeinde?

Die Frage nach dem eigenen Tod schwebt weiter im familiären Raum. Und natürlich die Frage nach dem Tod der Eltern. Denn die sind ja älter als das Kind selbst und also früher dran.

„Papa, wenn ihr dann sterbt, zieh’ ich zu Oma und Opa.“ „Och, wir wollten eigentlich lieber noch nicht sterben, sondern erst, wenn wir ganz alt sind.“ „Na ja, Papa, das müssen wir mal sehen, wann ihr sterbt!!“ Was schon ein ganz normaler Gottesdienst und die darin enthaltenen Gebete einem mit auf den Heimweg geben, das reicht für einige Tage. Bis über Ostern allemal.

Es sind übrigens nicht nur des Kindes Fragen..

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