Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

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Folge fünfundsiebzig
Entthronung

 

Nicht nur der Mann ist schwanger, siehe letzte Folge. Auch das Kind freut sich auf sein kommendes Geschwist. Und also bereiten wir uns vor auf die Ankunft des neuen Erdenbürgers – auch wenn wir dabei immer bedenken, dass wir nicht wissen können, was sein wird.

Vom Dachboden haben wir einige Kisten geholt, darin fanden sich Babyklamotten, die das Kind jetzt mit großer Begeisterung an Teddy ausprobiert. Da sind erste Konflikte vorprogrammiert, denn Teddy wird nicht einsehen, warum er den süßen Strampler wieder hergeben soll, wenn das Baby erstmal da ist.

Eine weitere Kiste enthielt Babyspielzeug. Nichts, was unser Kind jemals vermisst hätte. Dachten wir. Schreie gellen bei jedem guten Stück, dass aus den Tiefen der Kiste auftaucht: „Ooohhh, das brauche ich noch!!“ Klar, du bist fast fünfeinhalb Jahre alt und benötigst noch dringend eine Rassel. „Die brauche ich wirklich!!“ Wäre dem Baby damit nicht besser gedient? „Ich kann sie Baby mal leihen. Aber nur für eine Stunde!!“ Gut, so kommen wir allmählich voran.

Während Mütter nähen und da, wo sie noch ankommen können, putzen, äußert sich der Nestbautrieb bei Männern gänzlich anders und meint doch dasselbe. Ich zum Beispiel habe zwei weitere Kartons vom Dachboden geholt, in denen meine alte Modelleisenbahn verwahrt war. Schließlich will das Baby was zu spielen haben – wenn es denn irgendwann so sieben oder acht Jahre alt ist. Männer…

Auch blättere ich ein wenig im Netz der Netze, um mir Rat zu holen für anstehende Tat. Zum Thema „Baby & Geschwister“ finde ich fast nur Hinweise auf die ganz große Katastrophe, die ihr, mir und uns offenbar bevorsteht. Von Glück ist da selten die Rede. Besonders ermutigend ist der Internetableger der Zeitschrift Eltern: „Sie werden es ihrem Kind nicht ersparen können, dass es durch den Familienzuwachs leidet.“ Leidet.

Wie sehen diese uns bevorstehenden Leiden aus? Brigitte.de meldet, dass die großen Geschwister alles wiederhaben wollen: eigene Windel, eigenen Schnuller, eigene Brust. Orf.at bietet Ungehorsam, aggressives Verhalten dem Baby gegenüber, Probleme mit dem Sauberbleiben. Bemerkenswert sind auch diverse Ratschläge an werdende Eltern seiender Kinder: „Kindern im Kindergartenalter sollte man die Schwangerschaft nicht verheimlichen“ meint Eltern.de. Tatsächlich? Für wie blöd und blind halten die unser Kind?

Im an sich empfehlenswerten Familienhandbuch.de heißt es: „Das ältere Kind merkt, dass sich plötzlich nicht mehr alles um es dreht. Psychologen betiteln diese Situation als ‚Entthronungs-Schock’, Ursache dafür, dass das ältere Kind in ein ‚Baby-Verhalten’ zurückfällt, d.h. gestillt werden möchte, Bettnässen anfängt, psychosomatische Beschwerden zeigt.“

Nun ist mir natürlich klar, dass es all diese Probleme nicht nur im Internet gibt, sondern auch im echten Leben. Aber offenbar ist ein Geschwist nur ein Problem und keine Freude, keine Lust, kein Geschenk. Das glaube ich ja GAR nicht.

Gerade habe ich mich zu Tröstendem durchgeklickt – „Liegen drei oder mehr Jahre zwischen den Geschwistern, ist nicht mehr mit nennenswerten Konflikten zu rechnen“ – taucht meine Große aus ihrem Zimmer auf: „Papa, ich habe diese Pixibücher aussortiert, die sind alle doof, die kann das Baby haben!!“

Keine nennenswerten Konflikte? Na, da bin ich ja mal gespannt…

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