Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge siebenundsiebzig
Plastische Chirurgie

Heute wollen wir uns einem sanften, unterhaltsamen Thema widmen: der plastischen Chirurgie.

Teddy ist des Kindes Begleiter von Anbeginn an und heißt tatsächlich nur Teddy. Teddy ist Teddy an sich, ein richtiger klassischer, freundlich lächelnder. Der einzige echte und wahre.

Vor langer Zeit war die Rede schon einmal von Teddy, weil das Kind ihn „gelegentlich“ irgendwo vergisst. Vorübergehend natürlich nur, spätestens nach dem Umsteigen in einen anderen Zug fällt dem Kind ein, dass es im ersten Zug jemanden vergessen hat... Freunde „durften“ schon bei der Suche nach Teddy helfen, Busfahrer auch und Kindergärtnerinnen noch und nöcher. Ja, Teddy wurde so oft gesucht und gefunden, dass wir – die liebenden Eltern – ihn niemals mehr irgendwo vergessen können.

Der elterliche Aufwand hat seinen Grund: Das Kind braucht Teddy zum Schlafen. Es ist ausgeschlossen, dass das Kind jemals im Leben ohne Teddy wird einschlafen können. Ohne Teddy kein Schlaf. Ohne Schlaf keine Ruhe. Ruhe für uns. Und also suchen wir Teddy gerne.

Eine Zeit lang wurde Teddy ab und an in die Waschmaschine gesteckt und so von allerlei mehr oder weniger undefinierbaren Gerüchen befreit; übrigens behielt die Spieluhr im Inneren des freundlichen Wesens immer ihren freundlichen Klang. Doch mit der Zeit wurde Teddy Fell dünn und dünner, an einigen Stellen des Leibes und des Gesichtes zeigten sich gar offene Wunden. Teddy verging, zerfaserte und drohte als Nichts im Nichts zu verschwinden. Und den nächsten Waschgang hätte er nicht überstanden. Kein Teddy, kein Schlaf. Trübe Aussichten also.

Eine andere Einschlafhilfe? Zwar hat das Kind sechsundvierzig weitere Stofftiere, keines aber kommt im emotionalen Ranking auch nur in die Nähe von Teddy. Einen neuen, „baugleichen“ Teddy kaufen? Dem würde der undefinierbare Geruch fehlen, sein stoffliche Körper wäre nicht richtig plattgeliebt.

Guter Rat war teuer. In einer konzertierten Aktion durchpflügten wir eine größere Zahl von Spielzeugläden – und wurden glücklich fündig: ein lebloses Kuscheldings, mit einem Fell bezogen, dem Fell des einzig wahren Teddys ähnlich. Der überflüssige Kopf – und damit kommen wir zum chirurgischen Teil – wurde mit der Schneiderschere abgetrennt und das fremde Fell mit viel Näh- und Stopfarbeit – danke, Anne! – über die lichten Stellen von Teddy gezogen, gestülpt, genäht.

Teddy ist jetzt wieder ganz und ohne Löcher an Leib und Visage. Einige Echthaarteile sind noch dran, Ohren und Hände etwa, Beine und Nase. Also riecht er wie vormals. Teddys Lächeln allerdings musste komplett neu erstellt werden, der alte Mund war nicht zu retten. Das Lächeln ist jetzt ein wenig schief, und je nach Lichteinfall sieht es mal spöttisch und mal geradezu verschlagen aus.

Das Kind war Zeuge der chirurgischen Eingriffe, anders wäre es gar nicht gegangen. Es ist ja nicht doof und sieht den Unterschied zwischen Vorher und Nachher. Der Relaunch glückte. Teddy blieb akzeptiert als der einzige echte und wahre.

Mich stimmt das froh. Auch wenn ich hoffe, um die plastische Chirurgie und einen Relaunch herumzukommen: Jünger werde ich nicht, faltenreicher schon. Und möchte doch auch zukünftig als Papa akzeptierte bleiben. Als der einzige echte und wahre.

Mein Leben lang.

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