Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge neunundsiebzig
Wrestling am Wochenende

Ich preise den Herrn und lobe ihn: Es ist Wochenende! Woran erkennt ein Vater das Wochenende? Da ist zuerst der Freitag Abend. Er bringt das gute Gefühl, dass morgen Sonnabend ist. Kein Kindergarten, kein Kindergartenbus, kein Genörgel, keine Hetze. Das Kind darf länger aufbleiben und spielen und plaudern und noch eine Runde mit dem Fahrrad ums Haus fahren und noch eine Runde und noch eine – schließlich ist heute Freitag und morgen, ja, morgen beginnt das Wochenende.

Sehr spät am Abend, wenn der Hund längst schnarcht und es ganz still ist im Haus und sogar ich schlafen gehen will, da schleiche ich noch einmal ans Bett des Kindes und küsse es sacht auf die Wange. Ein Lid zuckt. „Papa, wie viel ist sechs plus sechs??“ „Zwölf, mein Schatz.“ „Gute Nacht, Papa!!“

Und dann ist das Wochenende da! Kein Wecker piept, kein Kindergartenbus brummt vom Horizont heran. Woran erkennt ein Vater das Wochenende? Pünktlich um 6:52 Uhr steht das Kind an unserem Bett. Das Kind, das wir an Kindergartentagen um dieselbe Zeit nur mit Müh und Not und Jammer wach kriegen.

„Papa!!“ Ich grunze, aber es hilft nichts. „Papa!! Ich bin ein Gecko!!“ Nö, ist klar, mein Schatz, hab’ ich immer schon gedacht, und spiel jetzt schön in deinem Zimmer, aber sei leise dabei. „Papa!! Wir sind im Gecko-Land!!“ Wieso wir? Ich bin noch im Schlafland und möchte dort auch bleiben. „Papa!! Wir sind im Gecko-Land und heute ist Gecko-Turnen!!“ Und mit diesem Satz und einem Satz springt mir mein geliebter Gecko auf den Bauch. Zwanzig Kilo quicklebendiger Gecko.

Ich stelle mich schlafend, was annähernd lächerlich ist. Denn das Größte für eine Fünfjährige ist Toben mit Papa. Toben mit einer Fünfjährigen? Wrestling ist ein Lacher dagegen.

Wenn das Kind aber irgendwann genug getobt und meinen Sonnabend also mit einigen frischen blaue Flecken eingeläutet hat, holt es das kleine Plastikklavier und bringt den Eltern ein Morgenständchen. Das kleine Plastikklavier hat eine wohlmeinende Nachbarin dem Kind geschenkt. Wohlmeinend gegenüber dem Kind. Übrigens kann das Kind gar nicht Klavier spielen, und genau so klingt es.

Wenn dem Kind aber auch das Musizieren ein wenig langweilig geworden ist, verschwindet es erstmal. Ich denke und hoffe: Es geht basteln. Bastelt etwas Großes, Buntes, eine Bastelei, die es sehr lange beschäftigt und den Eltern noch ein halbes Stündchen Schlummer beschert.

Nix da. Wenige Minuten später zieht beißender Schimmelgeruch durch unser Schlafzimmer. Das Kind hat sich ein erstes Frühstück gemacht und es gleich mitgebracht, um uns freundlich plaudernd Gesellschaft zu leisten. Toastbrot mit richtig dick Blauschimmelkäse darauf, dazu reicht es sich einen Ziegenkäsetaler.

Erstaunlicherweise findet die Mahlzeit neben unserem Bett statt, nicht in unserem Bett. Am Sonnabend letzter Woche gab es morgens Knäckebrot mit Philadelphia und Ketchup – in unserem Bett. Damit sich die Krümelei beim Knäckebrotessen lohnt. Immerhin gibt das Kind nichts ab von diesen frühen Mahlzeiten, ich muss das Zeug also nicht essen vor dem ersten Eimer Kaffee.

Aber ich muss jetzt aufstehen und die Fenster weit aufreißen. Und siehe, die Sonne scheint und die Vögel singen. Ich preise den Herrn und lobe ihn: Es ist Wochenende!

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