Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge siebenundachtzig
Beruf mit Zukunft

Vielleicht wird unsere Tochter doch keine nobelpreisgeehrte Schnipselforscherin, wie ich in der letzten Woche an dieser Stelle annahm und – dachte ich – sogar belegen konnte. Denn seit meinem letzten Aufräumen sind keine weiteren Schnipsel aufgetaucht, gestern habe ich alle Dosen und Kistchen klammheimlich kontrolliert. Keine Schnipsel. GAR keine. Auch schon wieder bedenklich, irgendwie.

Die Frage, was aus Kindern einmal wird und was aus ihnen werden soll, treibt nicht nur die zuständigen Eltern um – „mein Gott, was soll aus dir nur werden!“ –, sondern natürlich auch die Kinder selbst.

Praktizierende Eltern kennen die Buchserie „Ich habe eine Freundin, die ist ...“ bzw. „Ich habe einen Freund, der ist ...“ Dann folgen alle möglichen Berufe, für jeden ein eigenes Büchlein. Wer sein Kind umfassend vorbilden möchte, muss einen ganzen Stapel Bücher anschaffen. Die Freundin ist wahlweise Polizistin, Buchhändlerin, Tierärztin, Briefträgerin, Notärztin, Balletttänzerin oder Zahnärztin. Der Freund kann Fleischermeister sein oder Lokführer, Feuerwehrmann, Astronaut, Kapitän, Müllmann, Pilot, Feuerwehrmann, Lastwagenfahrer, Bauarbeiter, Fußballspieler, Busfahrer, Bäcker, Rennfahrer. Mal ganz abgesehen vom rein quantitativen Ungleichgewicht kann man an der Auswahl deutlich ablesen, in welchen Berufszweigen sich die Gleichberechtigung noch nicht ganz durchgesetzt hat. „Ich habe eine Freundin, die ist Rennfahrerin“ kommt einem als Buchtitel zumindest seltsam vor. Wobei Rennfahrer ein dermaßen überflüssiger „Beruf“ ist, dass das hoffentlich noch lange so bleibt.

Übrigens: Nur in einem Buch sind es mehrzahlige Freunde, die einen Beruf gemeinsam ausüben: „Ich habe Freunde, die sind Bauern“.

Doch zurück zu unserer großen Lütten. Immerhin ist sie fünf Jahre alt, da gilt es erste Vorüberlegungen anzustellen, was denn der Beruf der Zukunft sein könnte.

In den wunderbaren Erinnerungen von Friedrich Torberg – „Die Tante Jolesch“ – wird ein Fünfjähriger erwähnt, der auf die Frage, was er mal werden wolle, knapp antwortet: „Hautarzt!!“ Die ganze Torberg’sche Sippe fand's lustig, zumal niemand in der Familie tatsächlich Hautarzt war. Als ich das Buch las, hatte ich keine Kinder und fand's auch lustig. Heute finde ich es nicht mehr lustig, ich kann noch nicht einmal sagen, was ich daran so lustig gefunden habe. Kinder haben mitunter eine sehr genau Vorstellung von dem, was sie tun wollen und tun werden. Kann sein, dass Erwachsene das mit eingeschränkter Wahrnehmung nicht nachvollziehen können. Aber das liegt dann an ihnen, nicht am Kind.

Und komisch ist es natürlich trotzdem. Wir fragen klar und direkt: „Möchtest du auch mal Pastorin werden wie Mama?“ „Nö.“ „Warum nicht?“ „Weil, dann muss ich soviel arbeiten, und das möchte ich nicht.“ Das hat sie wirklich so gesagt. Ob das jetzt eher die Wirklichkeit widerspiegelt oder eher die Wahrnehmung einer Fünfjährigen, überlasse ich Ihnen und Ihrer Gemeinde...
„Oder willst du für Verlage arbeiten wie Papa?“ Kind: „Nö.“, und, seufzend: „Weil ich schon ganz viele Auftrags hab.“ Welcher Art diese Auftrags sind, die das Kind hat, ist klar ersichtlich und türmt sich rund um die Bastelecke an den Wänden hoch.

„Was willst du denn werden?“ Das Kind strahlt: „Kuscheltierpflegerin!!“

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