Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einundneunzig
Papa arbeitet (Vol. II)

In der vergangenen Woche war hier zu lesen, wie ich einen wagemutigen Ansatz machte, am Schreibtisch einige Dinge zu erledigen. Vielleicht sogar eine Kolumnenfolge zu verfassen. Da öffnete sich die Tür.

„Papa??“ „Ja?“ „Duhu, Papa??“ „Jaha?!“ „Papa, kann ich dich mal was fraaagen??“ „Schatz! Frag!!“ „Ich brauche deinen Tesafilmabroller.“„Der ist in deiner Bastelecke.“ „Das weiß ich.“ „Und?“ „Ich kann ihn nicht finden, kannst du ihn mir suchen??“ Wohl wissend, dass eine kurze Suche meiner Arbeit förderlicher ist als eine lange Diskussion, suche ich also. Und finde. Liegt auf dem Basteltischchen. Unübersehbar.

Ich wende mich wieder meinem Computer zu. Stelle fest, dass die fragliche Datei fragil ist. Der Computer schimpft mit mir. Ich schimpfe zurück, halblaut, dass das Kind mich nicht hört, von wegen pädagogisch wertvoll und so. Starte ein Dateienreparaturprogramm und gehe mir einen Kaffee kochen.

Einige Minuten später sitze ich mit Kaffee in meinem Lieblingskaffeebecher wieder am Schreibtisch. Die fragile Datei ist wieder eine stabile Datei. Ich überlege kurz und hebe die Hände, um zu schreiben... Nein, um mir die Ohren zuzuhalten.

Denn aus dem Nachbarzimmer erdröhnt Musik, Nena, das Lieblingslied meiner Fünfjährigen, die aus voller Kehle mitsingt: „Willst du mit mir geh’n, willst du? Willst du mit mir geh’n?“ Ich stehe auf, öffne die Tür mit der Hüfte, drehe mit zwei Zehenspitzen den Regler runter, nehme die Hände von den Ohren.

„Papa!! Das ist zu leise!! So kann ich nicht hüpfen!!“ „Hüpf draußen!“ „Trägst du mir das Trampolin in den Garten??“ Ich trage das Trampolin in den Garten. Setze mich wieder an den Schreibtisch und, tatsächlich, schreibe ein paar Zeilen, denke ein paar Gedanken, schreibe wieder ein paar Zeilen, blicke sinnierend aus dem Fenster auf der Suche nach weiteren Gedanken. Sehe, dass es draußen gerade zu regnen beginnt.

Das Kind kommt rein. „Papa!! Es regnet!!“ „Hol dir eine Regenjacke!!“ „Mein Trampolin darf aber nicht nass werden!! Kannst du es reintragen??“ Ich trage das Trampolin ins Wohnzimmer. Setze mich wieder an den Schreibtisch. Wenig später erdröhnen wieder Nena und Kind.

Ich stehe auf und werfe einen Blick nach nebenan. Das Kind hüpft (mit Regenjacke) auf dem Trampolin und grölt. Ich drehe am Regler. „Papa, so kann ich aber GAR nicht hüpfen!!“ „Und ich kann sonst nicht arbeiten.“ „Papa, ich kann doch auch arbeiten bei Musik!!“

Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch, schreibe zwei Zeilen, blicke sinnierend aus dem Fenster, der Regen wird stärker. Nun kommt auch der Hund rein, ordentlich nass ist er ja jetzt schon, und trottet auf direktem Wege zu seiner müffigen Matte. Der direkte Weg führt durch mein Arbeitszimmer. Ich hole einen Lappen.

Ich schreibe zwei Zeilen, da geht die Tür auf, meine Lieblingspastorin kommt herein, mit dem Baby. Klar kann ich mal eben wickeln. Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelt. Die Tür geht wieder auf, „Papa?? Kannst du mir bitte das Trampolin...“ Kann ich. Mach ich. Alles. Jetzt. Sofort.

Aber wenn ihr nachher alle im Bett seid, dann schreibe ich meine Kolumne zu Ende. Und dabei höre ich ganz ganz leise: Nena. „Mein Leben fängt von vorne an / mein Leben ist ganz neu / und wenn du dabei sein willst / dann bist du jetzt dabei.“

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