Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

plus > Download

 

Folge zweiundneunzig
Shoppen

Unsere Lütte wird groß, das sehen wir nicht nur am Kontrast zum sabbernden und spuckenden Brüderchen. Unlängst wurde dem Kind ein Besuch beim Haarabschneider gegönnt, weil es unbedingt kürzere Haar haben wollte. Da der eine Salon überbucht war, nahmen wir den Zehn-Euro-Frisör schräg gegenüber, und weil es ein Kinderkopf war, kostete es sogar nur sieben Euro.

Wie eine junge Dame, die alle vierzehn Tage das Haupt in die Waschschüssel senkt und sich hernach plaudernd die Spitzen kürzen lässt, so souverän kann sich auch eine Fünfjährige beim Frisör verhalten. Weniger souverän ist es allerdings, dass eben diese Fünfjährige überall herumerzählt, dass die neue Frisur nur sieben Euro gekostet habe – dem Kinderhirn kann der Unterschied zwischen „günstig“ und „billig“ natürlich noch nicht klar sein.

Vor einigen Wochen wurde auf dieser Seite gleich nebenan Matthäus 6 Vers 19 erläutert: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.“ Das brachte mich zum Nachdenken, denn genau das versuche ich ja gerade meinem Kind beizubringen: Schätze zu sammeln und nicht shoppen zu wollen!

Wie viel aber sind sieben Euro? Das Kind weiß es nicht. Kaum ruht das wöchentliche Taschengeld in der kleinen Hand, will es losziehen. Es ist dem Shopping-Wahn verfallen! Ausgerechnet ich, der ich mit Geld anerkannt fast gar nicht umgehen kann – jedenfalls ist nie welches da –, will jetzt mein Kind erziehen, sein Taschengeld nicht umgehend auszugeben, sondern sich realistische Ziele zu setzen und darauf hin zu sparen.

„Nach Golde drängt, / Am Golde hängt / Doch alles. Ach wir Armen!“, lässt Goethe das faustische Gretchen erkennen. Meine Lütte ist da nicht fern von: Gestern Abend, das Kind liegt einigermaßen ermüdet von des Tages Lauf im Bette, Papa hat gelesen, gestreichelt und schon eine gute Nacht gewünscht, da murmelt das Kind: „Papa, kannst du mir noch einen Gefallen tun??“

Der erfahrene Papa erwartet an dieser Stelle schon lange nichts kindlich Romantisches mehr, der kluge Papa wiederum sagt nicht leichtfertig „Ja“, sondern fragt kurz nach: „Was denn, mein Schatz?“ „Kannst du kurz runtergehen und in mein Portemonnaie gucken und dann wieder hoch kommen und mir sagen, wie viel Geld ich habe??“

Nein, das mache ich sicher nicht. Erstens braucht ein Kind nachts kein Geld, zweitens habe ich gerade die Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen und mag es gar nicht, wenn danach noch irgendetwas Schnödes kommt, und drittens soll nicht Geld das Letzte sein, an das mein Kind vor dem Entschlummern denkt.

Tut es aber, leider. Und morgen wird mein Kind wieder losziehen wollen, seine paar Münzen auszugeben. Egal für was – shoppen eben. Den Wert des Geldes allerdings misst es dabei eher noch an der Zahl der Münzen. „Papa, wie viel kostet das??“ „Neunundzwanzig Euro.“ „Ist das mehr oder weniger als neunzig Cent??“ Mehr, mein Schatz, sehr viel mehr, denn in der Welt geht es gerecht nicht zu.

„Papa!! Gib mir das Geld von deinem Geld, und dann bekomme ich nächste und übernächste und überübernächste Woche kein Taschengeld!!“

Da hat eine Fünfjährige wie nebenbei das Kreditwesen erfunden. Jetzt muss ich ihr nur noch das mit den Zinsen schmackhaft machen, dann habe ich für’s Alter ausgesorgt!

zurück