Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

Ich schlafe. Der Wecker neben meinem Bett piept, ich schalte ihn aus, ich döse. Der Wecker neben meinem Bett piept hektischer, ich schalte ihn aus. Döse. Der Wecker wird jetzt richtig ärgerlich. Ich öffne ein Auge, blicke auf die rätselhafte Zahlenkombination des Weckers. Erste Unruhe. Ich schwinge ein halbes Bein aus dem Bett, ich muss das Kind wecken. Doch das Kind steht schon neben meinem Bett. Oh Gott, es hat das kleine blaue Plastikklavier im Arm, es will mir ein Ständchen bringen. Ich grunze und fliehe ins Bad. Waschen, rasieren, kämmen, anziehen, Blick auf die Uhr. Ich gebe dem Hund ein Gutenmorgenkuss (der Hund grunzt), hole die Zeitung rein, decke den Frühstückstisch, koche Tee, koche Kaffee, suche vorsorglich schon mal einige Einzelteile wie die Kindergartentasche, das kleine gedrechselte Stoffwürmchen und die hässliche Plastiktüte, die Mia unbedingt wiederhaben will. Die Tüte finde ich. Das Wasser kocht, ich stelle Rosinenbrot und Blauschimmelkäse fürs Kind bereit. Ich erklimme die Stiege, das Kind sitzt in seinem Zimmer und spielt mit Teddys und Plastikmobilmännchen. Ich vermeide jeden Kommentar (würde jetzt nur aufhalten) und helfe den Kind beim Anziehen, was es schon alleine kann. Ich schaue auf die Uhr. Wir steigen die Treppe hinab, gehen in die Küche, wir frühstücken. Danach schlage ich dem Kind vor: den Mund abzuwischen, auf Toilette zu gehen, seine Kindergartentasche zu suchen, sich kämmen zu lassen (Blauschimmelkäse?!), seine Jacke anzuziehen und seine Schuhe auch. Es bricht in Tränen aus. Und doch finden wir alles und gehen los, zur Kindergartenbushaltestelle. Das endgültig ausgewählte Plastikmobilmännchen fehlt! Ich laufe die Warft wieder hoch, öffne die Tür, falle über den Hund, finde das Männchen, schließe die Tür. Ich schaue auf die Uhr. Und wir rennen los! Puuuh!

 

Folge sechsundneunzig
Mein Morgen, dein Morgen

Ich schlafe. Der Wecker nebenan piept. Ich lausche: Papa rührt sich nicht. Ich stehe leise auf (krawumm!!) und schleiche zum Regal. Suche (polter!!) und finde (jauchz!!) das kleine blaue Plastikklavier. Ja, ich will meinen geliebten Eltern ein morgendliches Ständchen darbringen. Ich schleiche ins Elternschlafzimmer und an Papas Bett. Papa öffnet ein Auge, springt auf mit einem Schrei und stürzt davon. Was hat der nur?? Mama und Baby schlafen noch. Ich tippel wieder in mein Zimmer, steige über die Anziehsachen, die Papa mir gestern schon hingelegt hat in der Hoffnung, dass ich am Morgen nicht einfach nur drübersteige, und bringe meinen Stoffviechern ein Ständchen dar. Und dann beginnt der Tag: Das große grüne Krokodil muss bezwungen werden. Aber das geht ja schnell, das mache ich ja jeden Morgen. Sodann muss ich in aller Ruhe eine mittelgroße Anzahl von Teddys und Plastikmobilmännchen auswählt: Das sind die Kandidaten. Einer von ihnen wird mich heute in den Kindergarten begleiten dürfen. Aber wer? Eine schwierige Frage... Da kommt Papa. Er schaut den Klamottenhaufen an, er schaut mich an, er schaut auf die Uhr. Ich habe beim Anziehen jetzt wieder ganz schlappe Arme, die dösen wohl noch. Aber dann werde ich in die Küche an den Frühstückstisch getragen und auf meinem Stuhl geradezu abgelegt. Lecker, Blauschimmelkäse!! Ich esse mit Vergnügen und klebe mir aus Versehen auch gleich etwas Blauschimmelkäse in die Haare. Dann aber muss ich fliehen, Papa kommt mit der Bürste. Das macht Spaß, kreuz und quer durch die Wohnung!! Dann wiederum ist der Morgen der schrecklichste: Erst ist die Kindergartentasche nicht da, dann fehlt das endgültig ausgewählte Plastikmobilmännchen! Papa schaut auf die Uhr. Aber schnell hat Papa alles gefunden. Und wir rennen los! Juchuuuh!


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