Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge achtundneunzig
Der Antrag

Wenn das eine Kind schon minimal älter ist, so man das zweite bekommt, zum Beispiel fünfeinhalb, dann wird einem erst so richtig klar, wie klein klein ist: So winzige Ärmchen und Beinchen! Immerhin: Die Frage, ob es einen Gott gibt, stellt sich nicht mehr, das sieht man ja, dass es einen gibt. Wie könnte das sonst sein, ohne einen Gott: so winzige Ärmchen und Beinchen?!

So ein Winzling bringt natürlich auch Erinnerungen an frühere Zeiten. Damals, als meine Große klein war und meine Großmutter mit zweifelndem Unterton fragte: „Kannst du überhaupt wickeln?“ Ich habe es noch im Ohr (siehe Folge 1 dieser Serie!). Jetzt stelle ich mir genau solche Fragen selbst: Kann ich eigentlich noch wickeln?

Ich kann. Das Wissen um die notwendigen väterlichen Tätigkeiten ist im Unterbewusstsein komplett erhalten geblieben und wird automatisch abgerufen. Und so musste ich keine Sekunde nachdenken: Kind ausplünnen, säubern, wickeln, anplünnen, über der Schulter bäuern lassen, liebevoll in den Stubenwagen legen und abschließend das soeben vollgebäuerte Hemd ausziehen und der Wäschetonne zuführen.

Was leider nicht im Unterbewusstsein gespeichert war und sich folglich auch nicht abrufen ließ, das waren die Irrungen und Wirrungen rund ums Kindergeld. Denn für ein weiteres Kind gibt es weiteres Kindergeld. Das muss man allerdings extra beantragen.

Aber wie und wo? Ruf doch mal an. Unser Bürgermeister war gerade im Stall beim Melken, aber seine Frau war sehr nett und sagte, er sei ohnehin gar nicht zuständig, und riet, es aufm Amt zu probieren.

Ich rief also aufm Amt an, im nächsten Dorf. Dort war man sehr nett, aber auch gar nicht zuständig, und verwies mich ans Amt der nächsten Kleinstadt. Ich rief also in der nächsten Kleinstadt an. Die dortige Mitarbeiterin war sehr nett, wusste mit meiner Frage ums Kindergeld nichts anzufangen und musste sich erst schlau machen, wahrscheinlich der zweite Arbeitstag ihrer Ausbildung. Der nette Rückruf brachte dann die Klärung: Man sei gar nicht zuständig! Und sie verwies mich ans Arbeitsamt.

Nun macht so ein kleines Kind viel Arbeit, klar, auf das Arbeitsamt wäre ich allerdings nicht gekommen. Nun denn. Ich rief also beim Arbeitsamt an und lauschte einer automatischen Ansage mit netter Stimme, bitte wählen Sie die fünf, oder, wenn das und das, dann wählen Sie die drei, oder, wenn das und das, dann wählen sie die neun. Ich drückte die fünf und wurde mit der nächsten automatischen Ansage verbunden, die Rufnummer hat sich geändert, wählen Sie bitte 01805 und so weiter. Das ist eine von den Nummern, bei denen man nie weiß, ob der Angerufene nicht vielleicht in Barcelona sitzt und ob der Anruf jetzt neunundvierzig Cent die angefangene Viertelsekunde kostet oder sogar gar nichts.

Ich wagte es dennoch, und siehe, dort war sehr nett und fand uns gar nicht im Computersystem. Schön, dass wir bisher trotzdem Kindergeld für unsere Große bekommen haben. Tja, und dann verwies man mich aufs Internet, dort kann man nämlich das Kindergeldantragsformular einfach herunterladen. Was technisch heutzutage alles möglich ist!

Ich lade mir das Formular runter. Jetzt muss ich es nur noch ausdrucken und ausfüllen. Leider ist mein Drucker kaputt. Ich brauche einen neuen Drucker. Kindergeld könnte ich dafür gut gebrauchen.

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