Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Bonus eins
Madagaskar

Wenn ich das Kind alleine mit dem Hund vom Hof ließe, die beiden würden verlässlich auf dem Friedhof landen. Das Kind, weil es dort spannend ist – Verstecke, ein tiefer Brunnen – der Hund, weil es dort spannend ist – Katzen, große Kaninchen.

Und gesungen wird dort – lauthals. Und an sich erfreut sich das Herz ja an sangeslustigen Kindern (der Hund kann nicht singen). Die Alternative ist nicht das nicht singende Kind, sondern das weinschreiende Kind. Als ich das vorletzte Mal mit dem Kind voll Pietät und Takt über den Friedhof schritt, schwollen seine Stimmbänder und es hub an lautstark zu singen „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord...“.

Gut, ich gebe zu, das Lied hat sie von mir, aber ich habe es noch nie auf dem Friedhof gesungen. Wirklich nicht. Schon gar nicht, wenn am anderen Ende gerade eine trauernde Familie um einen frischen Grabhügel steht. Als ich dem Kind folglich jegliches Singen kurzerhand untersagte mit Hinweis auf die Trauernden, schwollen die Stimmbänder noch viel stärker. Das schreiende Weinen klang weit. Vielleicht wäre der andächtigen Familie doch besser gedient gewesen mit „... und täglich ging einer über Bord ...“.

Unpassender als dieses markerschütternde Geschrei wäre das nicht gewesen.

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