Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Bonus vier
Wilde
Brombeeren

In einer Informationsbroschüre des lokalen Tourismusvereins tauchte das Pastorat unlängst als Sehenswürdigkeit auf mit dem Zusatz „privat genutzt“. Genützt hat das auch nichts. Und wenn das Zentrum der Aktivitäten einer im Ort sehr rührigen Kirchengemeinde als „private Nutzung“ gilt, ist das wohl eher ein Hinweis auf die Wahrnehmung der Kirche in der Öffentlichkeit.

Zunächst zum rein Äußerlichen: Am Fuße der Pastoratswarft liegt ein dicker Stein, und darauf steht geschrieben „Pasters Hus“. Auf der Wiese steht eine alte Kirchenglocke, die als Kirchenglocke ausgedient hat und heute den Grauschnäppern als Aussichtsplattform bei ihrer Jagd nach Insekten dient. 

Geht man die Warft hinauf, steht man vor dem Pastorat. Die Gemeinderäume und das Büro sind links herum. Rechts herum geht es auch, da ist ein Zaun mit einem Durchlass, da steht ein Kinderfahrrad und eine Schubkarre und ein Gartenstuhl. 

Nun gibt es Schlimmeres als in einem ansehnlichen Haus zu wohnen. Da das Pastorat zudem in dem einen oder anderen Reiseführer beiläufig erwähnt wird, kommen auch Touristen vorbei. Manche bleiben am dicken Stein stehen und machen ihr Foto und gut ist. Manche klingeln um 13.17 Uhr und fragen, ob sie ein Foto machen dürfen. Dürfen sie. Manche fragen dann noch, ob sie auch einmal ums Haus herum gehen dürfen, und natürlich dürfen sie das dann gerne und steigen über das Kinderfahrrad. Und dann gibt es noch die, die einfach alles tun, was ihnen so in den Kopf kommt und in den Kram passt. 

Da wird der Pastoratsgarten zu einer öffentliche Grünanlage. Ab und an steht mal ein Reh im Garten, das ist ja erbaulich. Doch dass fremde Leute im eigenen Garten Rad fahren, das ist schon, nun, sagen wir: gewöhnungsbedürftig.

Aber wir gewöhnen uns zügig daran, denn solcherlei kommt nicht so selten vor. Wir sitzen in der Küche beim Abendessen und blicken zwischen den Bissen versonnen in den strömenden Regen: Da steht eine Familie um die Sandkiste des Kindes zwischen allerlei Gartengerätschaften und Gartenmobiliar und dem Meerschweinchenstall – und fragt sich wahrscheinlich noch heute, ob das jetzt eine öffentliche Grünanlage ist oder doch eher eine private Nutzung. 

Den besten Ausspruch brachten aber eine Dame mittleren Alters, die mit ihrem Begleiter über unser Gartengerümpel stieg und sich an unseren Brombeerbüschen gütlich tat. Wir bemerkten die beiden zum Glück, bevor sie uns die ganze Marmeladensaison zunichte machen konnten. Auf den dezenten Hinweis, dass das hier dann doch irgendwie eher privat sei, sagte die Frau: „Ach, wir dachten, die Brombeeren wachsen hier wild!“

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