Das Kind |
Folge vier Letzte Woche war hier vom
Kinderturnen die Rede. Das muss präzisiert werden. Wenn man an
unterschiedlichen Orten groß wird und vielerlei Leute kennen lernt, dann lernt
man eine Menge über den Umgang der Geschlechter miteinander – auch in
sprachlicher Hinsicht. Schnell gewöhnt man sich Zungenbrecher an wie „liebe
Kommilitoninnen und Kommilitonen“, „geehrte Vikarinnen und Vikare“. Wenn
man schon fast bei „liebe Mitmenschinnen und Mitmenschen“ angekommen ist,
dann kommt man im wirklichen Leben an – und da ist natürlich alles ganz
anders. Das Kinderturnen heißt
bei uns im Dorf nämlich gar nicht Kinderturnen. Es heißt Mutter-Kind-Turnen.
Auch auf Nachfrage. Ein „Das-hieß-schon-immer-so!“ klingt mit. Ich bin
irritiert und frage bei der Vereinsleitung nach und bekomme zu hören: „Das
hieß schon immer so!“ Da ist also die
Vorturnerin C., dazu einige Väter und einige Mütter, die mit ihrem
bewegungsfreudigen Nachwuchs diese Gruppe besuchen in der Hoffnung, das Kind so
müde zu toben, dass es abends endlich mal zügig einschläft. Vorgestern waren zwei Väter
da und drei Mütter und also auch fünf Kinder. C. fordert uns: „Alle Mütter
machen jetzt einen groooßen Schritt nach vorne!“ Vater K. blickt mich an, ich
blicke Vater K. an. Verständnis blitzt auf. Männer eben. Vater K. und ich
bleiben einfach stehen. Vorturnerin C. guckt fragend, denkt grübelnd, findet
die Pointe und verdreht die Augen. „Alle Mütter und alle Väter machen jetzt
einen groooßen...“ Na also, geht doch. Diese kleine Revolution
endete leider schon um 16 Uhr 30, der Funke sprang nicht über. Noch nicht.
Vater K. und ich arbeiten dran. Und es gibt viel Arbeit!
Vor drei oder vier Wochen saßen das Kind und ich im Wartezimmer beim Kinderarzt
und lasen ein Buch. Irgendwann sind wir dran und wurden mit den Worten „Frau
Kolbe, bitte!“ ins Behandlungszimmer gebeten. Erst dachte ich, meine Tochter
solle alleine zur Untersuchung gehen. Entschuldigt hat sich die
Sprechstundenhilfe übrigens nicht: Sie hatte ihren Fauxpas gar nicht bemerkt.
Und ich habe ja auch irgendwie total feminine Züge. Zum Beispiel ein kleines
Kind an der Hand. Was stört, ist natürlich
weniger die schreiende Ungerechtigkeit gegenüber uns ach so armen Vätern.
Sondern die Gedankenlosigkeit, mit der – ganz zu Recht! – mehr Engagement
von den Vätern erwartet, den tatsächlich engagierten Vätern jedoch mit
verbaler Ignoranz begegnet wird. Ich will ja nicht vorgelassen werden beim
Kinderarzt, nur weil ich ein Vater bin. Aber ernst möchte ich schon genommen
werden, nicht als bunter Hund, sondern als ganz normaler Vater. Stellen Sie sich
vor, meine Frau wäre mit Kind im Wartezimmer gewesen und es hätte geheißen
„Herr Kolbe, bitte!“! Der Aufschrei hallte bis heute nach. Das Kind und ich sind
inzwischen ganz lässig geworden und besuchen weiterhin diverse
„Mutter-Kind-Kurse“. Und wenn Vorturnerin C. beim Mutter-Kind-Turnen wieder
alle Mütter auffordert, einen groooßen Schritt nach vorne zu machen, bleiben
Vater K. und ich einfach wieder stehen: C. lernt das schon noch. Und alle
anderen nehmen wir uns danach vor! |
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