Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundeinundsechzig
Neun Monate Advent

Neulich war in der überregionalen Zeitung, die wir uns neben dem täglichen Käseblatt halten, ein Interview zu lesen mit Christa W., seit mehr als 35 Jahren Erzieherin und heute Leiterin einer Kindertagesstätte in Offenbach. Okay, Hessen halt, aber trotzdem mal reingelesen: „Die meisten Kinder haben einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer und sehen viel zu viel fern, teilweise stundenlang und auch nachts. Viele Kinder werden auch vor dem Fernseher abgefüttert.“

Kein Geheimnis, dass die Kinder zu viel und zu unkontrolliert Fernsehen gucken. Als Erfolg gilt es, dass der Fernsehkonsum bei Kindern im letzten Jahr zurückgegangen ist: von 87 auf 86 Minuten... Täglich! Kurz: Die drei- bis dreizehn Jahre alten Kinder in Deutschland sehen durchschnittlich anderthalb Stunden fern. Wenn ich überlege, wie viele Minuten mein Kind pro Woche vor dem Kasten hockt, komme ich zu dem Schluss, dass – zum Ausgleich der Statistik – ein anderes Kind noch viel länger dort sitz! Täglich!

Schrecklich, so dachte ich bisher. Aber ich werde umdenken müssen, das Kind wird ab sofort regelmäßig fern sehen. Anderthalb Stunden! Täglich!

Warum das? Nun, die Schule des Kindes ist einige etliche Kilometer entfernt, und so haben wir Eltern Fahrgemeinschaften gebildet, klar. Also fahre ich auch zweimal die Woche nicht nur das eigene, sondern auch fremder Leute Kinder durch die Landschaft. Und was der kleine Mio da auf der Rückbank erzählt von seinem Fernsehkonsum, das ist, kurz gesagt, erschütternd. Also erschütternd für mein Kind: Was es alles versäumt!! Gespenster, Polizei, Blut, Araber, Israelis, Soldaten, Tod und Feuer, eben das ganze Vorabendprogramm plus Bonus – wie soll mein Kind da mithalten können auf dem Schulhof, wenn wir es weiterhin mit Pippi Langstrumpf auf DVD und einer halben Stunde Sendung mit der Maus (pro Woche!) medial dahinvegetieren lassen?

Das wirft uns aber unmittelbar auf die Frage: Wann soll man ein Kind ans Grauen in der Welt heranführen? Was soll man wem wann zumuten? Sterben und Tod hat das Kind schon erlebt in der eigenen Familie und sind natürlich im Pastorenalltag ein Thema; dieses Kind kennt den Unterschied zwischen Erdbestattung und Urnenbeisetzung. Und doch gibt es noch weitere Themen, die in den Horizont der fastsiebenjährigen Welt rücken.

Was das beispielsweise sein kann, zeigte am Montag der Bücherbus. Der steht einmal im Monat auf dem Schulhof, da können sich die Kinder Bücher und CDs ausleihen, werden im Umgang mit verschiedenen Medien geübt und an gute Literatur herangeführt. Schöne Sache an sich. Zuhause präsentiert das Kind stolz seine Beute: Neben diversen hochliterarischen Bibi-Blocksberg- und Tina-und-Sabrina-lernen-jetzt-reiten-CDs war auch der prachtvolle Bildband dabei mit dem prachtvollen Titel „Wo kommen eigentlich die kleinen Kinder her?“ Schöne Sache an sich. Bevor auch dieses Thema zur allseitigen Zufriedenheit auf dem Schulhof geklärt wird, müssen wir Eltern da wohl mal ran.

Nun ist das zugleich auch ein zutiefst adventliches Thema: Wie war das eigentlich wirklich bei Josef und Maria? Und müsste der Advent nicht eigentlich neun Monate vor Weihnachten beginnen? Liebe Leserinnen und Leser, mit diesen Fragen verlassen wir den Bereich der Unterhaltungsseite. Und verweisen freundlich lächelnd an die nächste Theologin...

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