Rainer Kolbe - Das Kind
178 Draußen zu Hause Es ist Wochenende. Die Sonne scheint, die Meisen zwitschern, der Wind säuselt, schwere Hammerschläge erschüttern das Dorf, das Kind arbeitet. Es kommt, wie es kommen muss: Das Holz ist schon wieder alle, das Außengehege für die Spielzeugtiere aber noch lange nicht fertig. Es sind ja sehr viele, das Außengehege soll sich erstrecken. Also müssen wir einmal mehr in den Baumarkt fahren, und dieses Mal kommt die Lieblingspastorin mit. Denn der Baumarkt ist auch ein Gartencenter. Lange Gesichter bei der Ankunft: Der Container mit den Holzresten wurde letzten Donnerstag geleert, und der mir fehlenden Raspelfräser mit Metallnadeln aus Wolfram-Karbid für meine Micromot 50/E ist immer noch nicht lieferbar. Die Lieblingspastorin aber ist erfolgreich und wuchtet zwei Sack Erde ins Auto. Und wieder einmal frage ich mich – wie es sich alle Männer fragen, wenn sie nicht gerade gelernter Gartenfachverkäufer sind – wieso man nicht einfach die Erde nehmen kann, die im Garten ohnehin schon herumliegt? Ja, unser Planet trägt sogar den Namen des gesuchten Stoffes – wieso sollte ich das Zeug also für teuer Geld im Baumarkt kaufen? Zurück im heimischen Garten baut das Kind das Außengehege mit dem vorhandenen Holz, einer Zange und drei Dutzend Nägeln um, während die Lieblingspastorin Erde in der Erde verbuddelt, der Ganzlütte in der Sandkiste kräht und ich auf der Bank sitze, in die Sonne blinzle, meine Lieben betrachten und vorsichtig die Hand nach dem hochinteressanten Roman ausstrecke, der neben mir auf der Bank liegt und in dem ich lese, wenn ich nicht gestört werde. Also nie. „Papaaa??“ Aber schön ist’s trotzdem, denn es ist Frühling, die Sonne scheint, die Meisen zwitschern, der Wind säuselt und wir sind draußen. Im Garten, am Meer, im Park, im Wald – egal, Hauptsache draußen. „Draußen zu Hause“, mit diesem Slogan wirbt ein bekannter Outdoor-Artikel-Händler. Im dazugehörigen Fernsehwerbefilmchen sieht man einen athletischen Mann mit Rucksack und zwei Begleiterinnen unterwegs in den Bergen. Dynamische Menschen, grandiose Berge – aber warum drei Leute? Gibt das nicht Stress im Zelt, wenn’s dunkel wird und alle schlafen gehen, sogar die Mücken? Bei uns gab’s immer Stress, zu dritt im Zelt. Wir waren in Schweden, damals, zwei gingen schlafen, einer las noch am verglimmenden Lagerfeuer in seinem hochinteressanten Roman. Und wenn der dann auch schlafen gehen wollte, war das Zelt schon besetzt. Sie glauben ja gar nicht, wie hartnäckig breit sich ein drei Jahre altes Kind in einem Zelt machen kann. Gut, das Zelt war eigentlich für zwei Leute gedacht und nicht für zweieinhalb. Aber trotzdem. Und inzwischen sind wir ja sogar zu viert (Teddy und Co. jetzt mal nicht mitgezählt), klar, dass das nimmer geht. Und noch früher, in einer ganz anderen Zeit, da ist mir mal ein Stapel Bücher im Zelt ertrunken, weil der Wolkenbruch sich gerade unseren Zeltplatz ausgesucht hatte. Ach ja, und dann gab’s mal einen Hund, der meiner nicht war und mit ins Zelt hinein wollte, aber streng roch. Alles in allem also irgendwie durchwachsene Erfahrungen mit dem Zelten, draußen. Als wir vier nun neulich in der großen Stadt waren, kamen wir – als ob da noch einer an Zufälle glauben mag! – an einem Outdoorladen vorbei (der sich seltsamerweise drinnen ist, nicht draußen). Der Ganzlütte verschwand zügig im Bällebad in der hintersten Ecke, und das Kind probierte Rucksäcke in unterschiedlichen Größen, Formen und Farben aus, derweil die Lieblingspastorin die großen, familientauglichen Zelte betrachtete: „Was machen wir eigentlich im Sommer?“ Mir schwant Fürchterliches. |