Rainer Kolbe - Das Kind

 

180 Hermes

Ich bin gefragt worden, was um Gottes Willen denn die Post mit dem angewandten Christentum zu tun und also in einer evangelischen Zeitung zu suchen hat, sei es auch „nur“ auf der Unterhaltungsseite.

Nun, ich hatte angenommen, dass sich das von selbst versteht. Erinnern Sie sich an den ersten Liebesbrief, den Sie im Kasten vorgefunden haben, als Sie ungefähr so um die geschätzt wie viel Jahre alt waren? Und die Nachricht, dass Ihre Bewerbung beim Global Player „Dingens AG“ erfolgreich war und man sich auf Sie freut?

Sehen Sie und bestreiten Sie es nicht: Das waren göttliche Momente! Okay, die GEZ-Rechnung zählen wir nicht zu diesen Momenten, aber zwischen dem Krankenkassenbescheid und der GEZ-Rechnung könnte ja auch mal wieder ... Na ja, ein Liebesbrief vielleicht nicht gerade, was soll denn da die Lieblingspastorin denken?

Übrigens kommt die Post nicht nur mit der Post, sondern heute auch mit diversen anderen Unternehmen, welche Mitbewerber heißen. Einer dieser Mitbewerber ist die Firma Hermes, und Hermes ist in der griechischen Mythologie – unter anderem – der Götterbote. Da sehen Sie es! Und werden doch sogleich wieder nach dem Christentum fragen, Götter, wieso Götter, haben wir nicht nur den einen? Ja und nein, es sind immer drei, die sich einig sind. „Gottbote“ klänge ja auch komisch.

Doch es gibt nicht nur die Post, die die Post bringt, und Hermes, den Götterboten. Es gibt auch noch die Elternpost. Das ist nicht wie in der letzten Woche die Post, die Eltern verfassen und ihren Kindern zustecken, damit die mal was im Briefkasten haben. Elternpost, das ist auch die Post, die FÜR die Eltern bestimmt ist und bei diesen, um es moderat zu formulieren, nicht immer ankommt.

„Hast du Elternpost mitgebracht?“ „Nö!!“ Na, wer’s glaubt. Ich durchsuche die Tasche, den Ranzen, nichts. Hätte ich die Rückseite der im Kunstunterricht erstellten Werke betrachtet, hätte ich die Einladung zum Elternabend auch gefunden.

Im Kindergarten gab es natürlich auch schon Elternpost und für diese etwas richtig Schickes: Eine gelb gestrichene Tafel, an die der Hausmeister kleine gelb gestrichene Metallröhrchen geklebt hatte, für jedes Kind ein Röhrchen, mit dem Konterfei des jeweiligen Kindes verziert. Das Ganze in einer Höhe, die kein Kindergartenkind erreichen konnte. Dorthinein steckten die Mitarbeiterinnen die Elternpost, so dass die Eltern sie beim mittäglichen Abholen fanden. Zumindest die Eltern, die ihre Kinder abholten. Eltern, deren Kinder mit dem Kindergartenbus über die Dörfer gefahren wurden, hatten ein Problem, denn die Erzieherinnen vergaßen manchmal, dass sie morgens Post verteilt hatten, wenn sie die Kinder mittags zum Bus brachten ...

Und was man alles nicht bekommt! Einladungen, Kindergottesdienstvorankündigungen und die Protokolle von spannenden Beiratssitzungen, an denen man auch schon nicht teilgenommen hatte, weil die Einladung nicht angekommen war. Übrigens gehören Ausladungen und Absagen dazu: „Flöten fällt am kommenden Donnerstag aus!“ Wenn man’s gewusst hätte, hätte man sich zwölf Kilometer Autoherumfahrerei sparen können. Wie gut, dass es an diesem Tag geregnet hatte, eigentlich hatten wir mit dem Fahrrad fahren wollen!

Nun geht das Kind inzwischen ja in die Schule, und es ist eine fortschrittliche Schule, man hat dort der Eltern Probleme erkannt. Und so gibt es jetzt im Ranzen des Kindes jetzt nicht nur die rote Mappe für Deutsch und die gelbe für den Sachunterricht und die blaue für Mathe – sondern auch eine lila Mappe für Elternpost.

Hilfe! Jetzt muss ich selbst daran denken, regelmäßig hineinzusehen!

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