Rainer Kolbe - Das Kind
231 Entweder voll oder ganz „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“, sagte Trainerlegende Sepp Herberger. Letzte Woche stellte ich beim öffentlich-rechtlichen Betrachten eines Fußballspiels fest, dass mir manch’ Fußballweisheit aus meinem Alltag vertraut ist. Ich erforschte das systematisch und stellte fest: Im Grunde bin ich Fußballer! Doch wie sieht das konkret aus? Der Tag beginnt. Die Sonne scheint durch das Fenster, ich strecke mich, stehe auf, kratze mich (am Kopf), setzte Wasser auf. Was wird der neue Tag bringen? „Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl.“ (Andy Möller) Natürlich weiß ich nicht, was dieser Tag wirklich bringen wird. „Die Realität ist anders als die Wirklichkeit.“ (Berti Vogts). Zwar habe ich eine groben Plan vom Tag, aber Kinder und Pläne? Dafür muss man noch nicht einmal Bertolt Brecht bemühen, dafür reicht Paul Gascoigne (wobei echte Fußballfans das natürlich anders formulieren: Wer ist Bertolt Brecht?): „Ich mache nie Voraussagen und ich werde das auch niemals tun.“ Am Vormittag ist es ruhig, ich widme mich meinen Forschungen und ärgere den Hund mit dem Staubsauger. Mittags kommen die Kinder aus ihren jeweiligen Verwahranstalten, sofort ist es laut und quirlig, „Zwei Minuten gespielt, noch immer hohes Tempo.“ (Holger Obermann) Nach dem Mittagessen schicke ich beide in den Garten. Das große Kind holt – wie passend, gerade – einen Ball. „Ich wage eine Prognose: Es könnte so oder so ausgehen.“ (Ron Atkinson) Das kleine Kind schießt umgehend ein Tor. „Zwei Chancen, ein Tor: das nenne ich hundertprozentige Chancenauswertung.“ (Roland Wohlfahrt) Das große Kind ist mit dem Tor nicht einverstanden und beginnt mit dem kleinen Kind zu diskutieren. „Vom Willen her hat die Mannschaft schon gewollt.“ (Eduard Geyer) Einer stampft mit dem Fuß, einer weint, einer tritt nach dem anderen, einer schmeißt den Ball ins Gebüsch, einer liegt am Boden – „Die Situation ist bedrohlich, aber nicht bedenklich.“ (Friedhelm Funkel) – ich greife schlichtend ein und versuche, mein großes Kind zu trösten: „Mal verliert man und mal gewinnen die anderen.“ (Otto Rehhagel) Dann schicke es zum Hausaufgabenmachen an den Schreibtisch. Das kleine Kind lotse ich zur Wickelkommode, aber er hat gar keine Lust zum Gewickeltwerden, er will spielen und toben und gebärdet sich entsprechend und ich murmele halblaut „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ (Andreas Brehme). Später sitzt das kleine Kind mit seinem neuen Radlader in der Sandkiste. „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“ (Lothar Matthäus). Ich sitze daneben und lese ein kluges Buch über Kinderpsyche und Elternpsyche. Pädagogische Mehrwert: „Grau ist alle Theorie, wichtig ist auf’m Platz.“ (Alfred Preißler) Der Tag neigt sich, wir essen. Die Kinder veranstalten ein Wettrennen auf der Treppe. „Es ist nichts scheißer als Platz zwei.“ (Erik Meijer) Dem großen Kind müssen die Nägel geschnitten werden. „Ich will an meinem rechten Fuß feilen.“ (Michael Tarnat). Und das kleine Kind ist so schmutzig, dass es sogar der Dusche graut. „Der ist mit allen Abwassern gewaschen.“ (Norbert Dickel) Nach dem Abendprogramm – „Für mich gibt es nur ‚entweder / oder’. Also entweder voll oder ganz!“ (Jörg Dahlmann) – sinke ich erschöpft nieder. Der Tag neigt sich. Meine persönliche Zukunft? „Mit 50 bist du als Fußballtrainer reif für die Klapsmühle. Wenn du genug Geld verdient hast, kannst du wenigstens erster Klasse liegen.“ (Otto Rehhagel). Ich bin Mitte vierzig, werde als Vater mit 50 bestimmt reif für die Klapsmühle sein. Aber Geld verdiene ich mit dem Vatersein leider nicht. Reicht also nur für Economy. Irgendwann gehe ich schlafen und freue mich auf morgen. „Das nächste Spiel ist immer das nächste.“ (Matthias Sammer). |