Rainer Kolbe - Das Kind
236 Das Zelt im Garten Da liegt es in der Diele, das grüne Bündel, und darin ist das Leihzelt. Wir haben nämlich gar kein Zelt und fahren am Wochenende doch auf Väter-Kinder-Kanu-Tour. Mein Kind und ich und einige andere Väter und etliche andere Kinder. Zelten ist ja eigentlich nicht sooo mein Ding. Und meine Kanu-Erfahrungen halten sich auch in Grenzen: einmal in Schweden und einen Nachmittag auf der Treene. Immerhin kann diese Erfahrung helfen, denn unsere Väter-Kinder-Kanu-Tour findet wieder auf der Treene statt. So fügt sich eins zum anderen, und vielleicht finde ich ja zufällig die Uhr wieder, die damals ins Wasser gefallen ist. Das Kind stuft diese Väter-Kinder-Kanu-Tour auf Platz zwei ein: Noch mehr Vorfreude wird dem Sommerurlaub in Schweden gewidmet („weil der ist länger“), doch der Ponyhof ist im Ranking auf Platz drei abgerutscht. Kann aber daran liegen, dass das Ponyhof-Wochenende schon gewesen ist... Einmal waren wir mit dem Zelt drei Wochen in Schweden unterwegs. Es waren auch drei Wochen zu dritt in einem Zwei-Mensch-Zelt. Der dritte Mensch war das damals dreieinhalbjährige Kind, das reichlich Platz beanspruchte, in dem es sich im Schlaf wälzte und um sich schlug. Das Kind behauptet, sich noch an diesen Urlaub erinnern zu können. Ich weiß nicht, ob ich mich mit achteinhalb Jahren noch an meine Abenteuer als Dreieinhalbjähriger erinnern konnte. Sehr wohl kann ich mich als Mittevierzigjähriger aber an diesen Urlaub erinnern, wir verbrachten viele Stunden damit, den Schnuller des Kindes zu suchen, den es beim nächtlichen Um-sich-Schlagen immer verlor. Auch erinnere ich mich an eine Kanu-Tour auf einem Fjord, die wir allerdings abbrechen mussten, weil der Wind doch erheblich auffrischte und der Fjord Wellen warf, die für uns und das Leih-Kanu eine Nummer zu groß waren. Kanu, Zelten, Schweden, Treene: So fügt sich eins zum anderen. Also, da liegt nun das Leihzelt in der Diele, und sicherheitshalber wollen wir es zur Probe aufbauen im Pastoratsgarten: Allerlei Stangen und Planen und Bänder und Heringe sollen zusammengefügt werden. Für das Einschlagen der Heringen verwenden wir den Gummihammer, den wir – na klar – vor fünf Jahren in Schweden gekauft haben. So fügt sich eins zum anderen. Es gelingt auf Anhieb: Jetzt steht ein Zelt im Garten, ein wenig deplatziert zwischen Sandkiste, Sitzbank, Meerschweinchenstall und Wäschespinne. War gar nicht so schwer. Das Kind und ich sind stolz auf uns und belohnen uns mit einer Runde Malzbier. Nun aber will das Kind auch Probeschlafen im Schlafsack im Zelt im Garten. Nun gut, von mir aus, und irgendwann sieht das Kind auch ein, dass ich es zwar zu Bett, also zu Schlafsack bringen werde, mitnichten aber selbst um 20 Uhr zur Ruhe gehen mag. Am Abend zieht das Kind seinen Schlafanzug an, putzt sich artig die Zähne, küsst den Brüder, die Mutter und den Hund. Wir verschwinden im Zelt, ich lese ein Kapitelchen vor, küsse das Kind und gehe. „Mal sehen, wie lange...“, denke ich bei mir. Zwanzig Minuten später klappt die Tür. Dacht’ ich’s mir doch. „Ich kann nicht einschlafen!!“ Klar, ganz allein da draußen, ziemlich hell noch, fremde Geräusche. Freundlich biete ich dem Kind sein Hochbett an. Aber das Kind will unbedingt draußen schlafen, und so bringe ich es wieder in den Garten. „Mal sehen, wie lange...“, denke ich bei mir. Gegen 22 Uhr blickt mich meine liebe Frau sehr ernst an, sie zweifelt an meiner Aufsichtspflichtwahrnehmung: so ein Kind, ganz allein im Garten... Sicherheitshalber schaut sie selbst mal nach. Das Kind schläft ganz ruhig ganz allein im Schlafsack im Zelt im Garten! Ich hätte mich das in dem Alter nicht getraut! Und ich bin mächtig stolz auf mein Kind! |