Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge achtundzwanzig
Nicht nicht kommunizieren

„In einer sozialen Situation kann man nicht nicht kommunizieren.“ – Sie kennen diesen Satz, er stammt von dem gerade verstorbenen Philosophen Paul Watzlawick. Dieses so genannte „Erste Axiom“ meint ungefähr, dass zwei Personen immer miteinander kommunizieren, sobald sie einander wahrnehmen, denn ein jegliches Verhalten hat kommunikativen Charakter – nicht nur das Reden selbst. Kurz: Selbst wenn ich mein Kind völlig ignoriere, dann liegt auch darin eine Aussage, eine Bedeutung, eine Verhalten in Bezug auf das Kind – also eine Kommunikation.

Natürlich ignoriere ich mein Kind niemals, das ist auch gar nicht möglich. Einerseits ist das Kind eine altersgerechte Plaudertasche, und andererseits muss sich das Kind die Welt fortwährend erschließen mit allerlei Fragen. Die häufigste Frage dabei ist „Waaas??“

Eine Zeit lang dachte ich, ich könne es nicht mehr hören, dieses „Waaas??“ Aber noch schlimmer ist die hochsprachliche Form. Da bringt man seinem Kind liebevoll bei, dass es höflich „Wie bitte?“ fragen soll, wenn es etwas nicht verstanden hat, und es macht das dann auch noch! Da der Satz aber unzumutbar lang ist und sich im Alltag durch häufige Benutzung zügig abschleift, wird daraus schnell ein schnelles „Witte??“

„Witte??“ verfolgt uns jetzt aber auf Schritt und Tritt. Ich kann es nicht mehr hören, dieses „Witte??“ Ja, danke der Nachfrage und Sorge, das Kind und seine Ohren sind gesund, für Insider: U 8 war im Dezember. Die Gehörgänge sind sauber. An meiner breiten Aussprache kann es nicht liegen, alle Nachbarn verstehen mich, und interessanterweise auch die Kinder der Nachbarn. Böser Wille scheidet ebenfalls aus, das ist an der nachlässigen Lässigkeit zu hören: „Witte??“

Allein – der Ablenkungen sind viele. Menschen wandeln auf dem Friedhof, eine Kröte hüpft über den Weg, der Küster radelt vorbei, eine duftende Blume liegt geknickt im Gras, zu hören ist das ferne Brüllen einer Kuh, das ferne Brüllen der Brandung. Dabei trennt eine Vierjährige nicht zwischen optischen, akustischen und olfaktorischen Ablenkungen. Der Trecker ist knallrot, der Trecker lärmt, der Trecker spuckt Gülle. Wenn ich eine Frage stelle und gleichzeitig fliegt ein Sperling vorbei, dann kann ich sicher sein, dass es auf meine Frage, ganz unabhängig vom Tiefgang, nur eine Antwort geben kann: „Witte??“

Zur Verdeutlichung der Kommunikation in einem solchen Fall hören wir also einmal hinein in einen typischen Dialog. Der kommunikativ engagierte Vater hat sein optisch, akustisch und olfaktorisch leicht reizbares Kind vom Kindergartenbus abgeholt und beide tippeln munter plaudernd von der Bushaltestelle nach Hause:

„Wie war es im Kindergarten?“ „Witte??“ „Wie war es im Kin-der-gar-ten?“ „Gut.“ „Was habt ihr gemacht?“ „Witte??“ „Was habt ihr ge-ma-hacht?“ „Wir waren auf dem Markt und haben eingekauft.“ „Und was habt ihr eingekauft?“ „Witte??“ „Und was habt ihr ein-ge-kau-hauft?“ „Paprika.“ „Und die habt ihr zum zweiten Frühstück gegessen?“ „Witte??“ Und so weiter und so fort, bis die beiden im Abendrot am Horizont verschwinden.

Es gibt Tage, da wäre es mir lieber, Herr Watzlawick habe sich geirrt mit seinem Axiom. Es wäre ruhig, und das Kind und ich kommunizierten ganz einfach ganz und gar – nicht.

„Papa??“ „Ja, mein Schatz, was kann ich denn für dich tun?“ „Witte??“

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