Rainer Kolbe - Das Kind

 

171 Gesundes durchdrücken

In der letzten Woche hatte ich berichtet, wie ich mit einem weiteren Vater und einem guten Dutzend Mütter in der Schulküche stehe, dunkles kräftiges Brot schneide und Gurken schnippel, laibweise, sackweise. Aber warum mache ich das? Ich muss das schließlich nicht tun. Warum machen Eltern überhaupt dergleichen? Und weiß mein Kind, was ich da tu und warum?

Eltern müssen öfter mal ran, nicht nur in der Schule. Es gibt Elternförderverein in der Schule und Elternbeiratssitzungen im Kindergarten, Elternvertretertreffen und Aufräumaktionen, Sommerfeste und Fasching. Ja, klar, wir wollen, dass es unseren Kindern gut geht: Essen, Sport, Kultur. Es soll den Kindern besser gehen, als es Schulen und Kindergärten aus eigener Kraft –und eigenen Finanzen – leisten können.

Dahinter steckt natürlich auch missionarischer Eifer. Wenn die Mutter von Mio ihrem Sprössling auf dem Weg zur Schule noch schnell was zu naschen kauft für die Pause, dann soll Mio wenigstens einmal im Monat etwas Gesundes in den Hals bekommen.

Gesunde Ernährung ist ein Thema, daheim am Küchentisch genauso wie in der Politik, in der Zeitung wie in diversen Foren im Internet. Im Kindergarten vom Ganzlütten erzählte mir jemand unlängst die Geschichte vom Alkohol in der Milchschnitte, die kannte ich noch gar nicht. Da habe ich ein bisschen gestöbert im Netz der Netze und bin in einem Forum auf allerlei Antworten gestoßen zu der Frage Alkohol in Milchschnitte?

Alkohol ist ja eigentlich kein Thema für kleine Kinder, denkt man, hofft man. Das Kind hat so zwar seine Erfahrungen, siehe Folge 37: Es war knapp zweieinhalb Jahre alt, ich holte es von der Tagesmutter ab: „Was gab es bei Kirsten zu essen? Schokolade?“ „Ja!!“ In dem Alter verraten sie sich immer. „Und hast du auch ein großes Bier getrunken...?“ Kleine Pause. Dann, mit Nachdruck: „Nein, ich hab’ ein kleines Bier getrunken!!“

Aber das war wahrscheinlich alkoholfrei. Jahre später, als die Lieblingspastorin mit dem Ganzlütten schwanger ging, war die besorgte Standardfrage des Kindes bei jedem Getränk, das irgendwie anders aussah als Leitungswasser: „Ist da Alkohol drin??“

Doch zurück zur Milchschnitte. Ich fand heraus, dass die Dinger bis Ende 1999 tatsächlich Alkohol enthielten, als Trägerstoff für Aromen. Ferrero bekam aber ordentlich Gegenwind und hat sich dann was anderes überlegt. Auch war der Alkohol nach einem halben Dutzend direkt hintereinander gegessene Milchschnitten beim Pusten ins Röhrchen tatsächlich nachweisbar. Fahruntauglich fürs Bobbycar sozusagen.

Was dann aber zu der ja ernst gemeinten Frage einer besorgten Mutter in dem Internetforum an Antworten zu lesen war, lässt einen doch stark zweifeln an der Intelligenz anderer Menschen im Allgemeinen und der Fürsorgepflicht von Eltern im Besonderen.

Neben einigen sachlichen Äußerungen fanden sich so liebevolle Hinweise wie Quatsch! Der Kindergarten will seine „gesunden“ Sachen durchdrücken. Oder Ich habe drei Kinder und alle nehmen schon seit Jahren die Milchschnitte mit zu Schule und keiner ist Alkoholiker. Und Mach dir einfach keine Sorgen, die im Kindergarten haben einen am Kopf!

Dabei sind auch Äußerungen von einer, na ja, sagen wir mal: erfrischender Naivität. Wenn es nicht auf der Zutatenliste steht, dann ist es auch nicht drin! Oder Kann ich mir nicht vorstellen, ist doch auch für Kinder. Wie naiv darf man als Mutter oder Vater eigentlich sein?

Da stehe ich also in der Schulküche und schnippel gesunde Dinge und frage mich, warum ich das tu. Und, wie viele der Kinder hier das Engagement von einem guten Dutzend Eltern zu würdigen wissen? Und vor allem: Wie viele der nicht-schnippelnden Eltern das zu würdigen wissen?

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